Kino jenseits der Mauer

Saarbrücken · Vor 70 Jahren wurde im Ostsektor Berlins die Defa gegründet. Die Deutsche Film AG wurde zum Hollywood der DDR. Über 700 Filme entstanden – oft Propaganda für die Segnungen des Sozialismus, aber auch Klassiker des deutschen Kinos und kritische Werke, die das DDR-Regime sofort verboten hat. Der Sender Arte widmet sich der Defa mit einigen Spielfilmen und einer neuen Dokumentation.

 Der große Klassiker des Nachkriegsfilms: Hildegard Knef und Ernst Wilhelm Borchert 1946 in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ – heute um 20.15 Uhr bei Arte. Foto: ZDF / Progress Film / Klagemann

Der große Klassiker des Nachkriegsfilms: Hildegard Knef und Ernst Wilhelm Borchert 1946 in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ – heute um 20.15 Uhr bei Arte. Foto: ZDF / Progress Film / Klagemann

Foto: ZDF / Progress Film / Klagemann

Filme "gegen Krieg und Militarismus" waren das erklärte Ziel, zumindest am Anfang. Am 17. Mai 1946 erteilt die sowjetische Besatzungsmacht in Berlin einer Gruppe von Künstlern eine Lizenz zur Kinoproduktion: Die Deutsche Film AG gründet sich - kurz Defa. Bis 1990 entstehen in den Studios in Potsdam-Babelsberg über 700 Kinofilme, 500 Fernsehspiele, Tausende von Dokumentar- und Animationsfilmen. Wenn man so will, ist die Defa das Hollywood des Ostens, wenn auch nicht kapitalistisch orientiert, sondern politisch. Ab 1952 ist die Defa ein Staatsbetrieb der DDR mit einem festen Jahresbudget und einem festen Auftrag: Unterhalten und Erziehen des Kinogängers zu einem besseren, sprich sozialistisch denkenden Menschen. Ein prägender Regisseur der frühen Defa-Jahre ist der in Saarbrücken geborene Wolfgang Staudte (1906-1984). Er drehte 1946 in den Trümmern Berlins mit "Die Mörder sind unter uns" den ersten deutschen Nachkriegsfilm, 1951 die Heinrich-Mann-Verfilmung "Der Untertan" und 1953 den erfolgreichsten Film aus DDR-Produktion: Das Märchen "Die Geschichte vom kleinen Muck" sahen über elf Millionen Kinobesucher in 60 Ländern.

Zum 70. Geburtstag zeigt der Sender Arte nun einige Klassiker der Defa und auch die neu produzierte, sehenswerte Doku "Großes Kino made in DDR" (Mittwoch, 22.20 Uhr). In flotten 51 Minuten zeichnet Regisseur André Meier die Historie des Filmbetriebs nach und auch die enorme Bandbreite - von Liebesdramen über Western (meist mit Ost-Winnetou Gojko Mitic), Komödien bis hin zu utopischen Filmen mit Kosmonauten auf Weltraumreise. Anfangs noch hoffen die Filmemacher auf freie Entfaltung, doch der Staat greift früh ein und verlangt nach "politischer Erziehung" - in pathosgetränkten Werken wie etwa "Ernst Thälmann - Sohn seiner Klasse" (1954). Bittere Ironie dabei: Den Vorsitzenden der KPD bis 1933, der im Konzentrationslager stirbt, spielt ausgerechnet das frühere NSDAP-Mitglied Günther Simon. Das Drehbuch hat Walter Ulbricht persönlich abgesegnet.

In den 60er Jahren werden die Filme progressiver, "Der geteilte Himmel" etwa blickt durchaus kritisch auf das Leben in der DDR, ebenso wie "Jahrgang 45". In diesem Fall reagiert die Führung prompt: Der Film wird unter Verschluss gehalten und erst Jahrzehnte später gezeigt. Das Klima wird eisig, Filme wie "Spur der Steine" werden verboten. Mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 setzt schließlich ein "furchtbarer Aderlass" ein, wie es in der Doku heißt, in der Stars der Defa wie Kathrin Sass, Winfried Glatzeder und Regine Sylvester zu Wort kommen. Die Künstler Manfred Krug , Armin Mueller-Stahl und Jutta Hoffmann verlassen die DDR.

Zum Ende hin wird die Reportage etwas flüchtig, die Abwicklung der Defa nach der Wende, ihr Verkauf an einen französischen Konzern wird allzu schnell abgehandelt. Das wirkt mitunter so, als habe man eine abendfüllende 90-Minuten-Doku auf die gängige TV-Format-Länge heruntergekürzt. Dennoch: ein interessanter Rückblick .

Die Filme: "Die Mörder sind unter uns" (heute, 20.15 Uhr). "Jakob der Lügner" (heute, 21.35 Uhr). "Goya - Oder der arge Weg der Erkenntnis" (Mittwoch, 20.15 Uhr). "Großes Kino made in DDR" (Mittwoch 22.20 Uhr). "Coming out" (Donnerstag, 22.15 Uhr).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort