Interview zum Ophüls-Film „No One's Home“ „Ich war neugierig auf das Experiment“

Saarbrücken · Nevena Savic erzählt in „No One‘s Home“ von Rückzug, Vereinsamung und Verwahrlosung. Ein alter Mann lebt in seinem isoliert im Wald stehenden Haus, Animationen lassen bruchstückhafte Informationen in den Film sickern. „No One‘s Home“ steht beim Ophüls-Festival im Wettbewerb des Mittellangen Films – ein Gespräch mit der Regisseurin.

Interview zum Ophüls-Film „No One's Home“
Foto: Nevena Savic

Ihr Film erzählt von Zurückgezogenheit, von Isolation, zugleich vom Krieg in Jugoslawien und denNachwirkungen - inwieweit muss man mit der Geschichte des Krieges in Jugoslawien vertraut sein,um Ihren Film ganz zu verstehen?

SAVIC Jede individuelle Lebensgeschichte findet innerhalb eines größeren historischen und politischen Kontexts statt und so eben auch die Geschichte meines Protagonisten. Er geht als junger Gastarbeiter nach Deutschland. Als Jahrzehnte später in seinem Heimatland Krieg ausbricht, kommt seine Familie schutzsuchend zu ihm. Nach dem Krieg und mit der Rente, entscheidet er sich zurückzugehen. Um seine Geschichte besser einordnen zu können, hilft es natürlich diesen Kontext grob zu kennen. Viel wichtiger als ein rationales Verständnis der Ereignisse und seiner Biographie, ist mir in dieser Arbeit aber ein Nachempfinden auf emotionaler Ebene. Menschen können aus verschiedensten Gründen und Situationen heraus verwahrlosen oder depressives Verhalten entwickeln. In seinem Fall trägt wohl eine fehlende Verwurzelung, ein fehlender Platz auf der Welt ausschlaggebend dazu bei. Ich habe den Film bewusst vage gehalten, was konkrete Umstände betrifft, um den Fokus eher auf seinen Zustand,seine Gefühlswelt zu setzen. Kino ist ein enorm mächtiges Medium, was das angeht: es ermöglicht uns, mit einer völlig fremden Person in einem ganz anderen Kontext oder Teil der Erde mitzufühlen.Für mich ist das Kriegsthema Teil des Films und Teil seiner Geschichte, spielt aber keine zentrale Rolle. Für viele Menschen ist Krieg leider Teil ihres Lebens. Solche Ereignisse wirken sich zwangsläufig auf das weitere Leben von Menschen aus, auf das Leben ihrer Kinder. Das kennt man hier auch.

Sie sind in 1990 in Zenica geboren, 1992 ist der Krieg ausgebrochen, und Sie sind zu IhremGroßvater nach Ravensburg gekommen - wie haben Sie den Krieg dort erlebt, als Sie größer wurden?

SAVIC Ich war noch sehr klein als wir nach Deutschland gekommen sind und ich kann von Glück sagen, dass ich den Krieg an sich fast gar nicht erleben musste. Dennoch erinnere ich natürlich wie meine Familie jeden Abend stumm und besorgt Nachrichten verfolgt hat, die unfassbar schienen. Ich wusste immer ,woher wir gekommen sind, und dass das Bosnien heißt, dass wir Flüchtlinge sind. Ich hatte aber dennoch keine Vorstellung davon, was genau das ist, Bosnien. Lange Zeit bin ich entkoppelt davonaufgewachsen. Es war meiner Mutter sehr wichtig, dass wir uns hier einfügen, um hier eine Chance und Zukunft zu haben. Das nahm einen weitaus größeren Teil unseres Lebens ein, als auf das verlorene Leben zurückzublicken. Erst später kam dann bei mir die Beschäftigung mit dem, was dapassiert war und dann auch die Besuche nach Bosnien.

Gibt es im Film direkte biografische Bezüge zu Ihnen oder Ihrer Familie?

SAVIC Der Film basiert auf der Geschichte meines Großvaters und meiner Familie. Ich habe manches natürlich verändert oder vereinfacht. Tatsächliche Lebensgeschichten sind ja selten linear genug, um direkt in einen Kurzfilm übertragen zu werden. Auch das Leben meines Großvaters war wohl komplizierter als das im Film der Fall ist. Dabei habe ich versucht, einen Spagat zu halten zwischen einem Film, der zugänglich ist und verstanden wird und dennoch die Dinge nicht zu sehr vereinfacht oder stilisiert. Ich mag es nicht, wenn Rollen zu klar geschrieben sind. Die meisten Menschen und ihreGeschichten sind ambivalent und voller Umwege. Das macht uns vermutlich so anstrengend und bezaubernd zugleich.Das frühere Leben Ihrer Hauptfigur wird im Film mit Animationen erzählt beziehunsgsweise angedeutet.

Wie früh stand die Idee fest, im Film Animationen zu verwenden? Wollten Sie bewusstauf übliche Rückblenden verzichten?

SAVIC Meine ersten Berührungen mit dem Medium Film waren kurze Stop Motion Animationen. Dieses Format lag mir also erstmal viel näher als der Realfilm. Für mich bot sich das also an, mit Animationen zu arbeiten. Die Animation hat es mir ermöglicht, die beiden Erzählebenen zwar formal zu trennen, dann aber wieder zu vereinen. Ich war neugierig auf das Experiment beides zusammenlaufen zu lassen.

Ihr Film ist sehr karg und reduziert - wie früh stand fest, dass er stilistisch so sein soll?

SAVIC Vermutlich ist ein großer Teil dessen, meine Art zu arbeiten und die Art von Kino, die ich besonders mag. Ich mag sehr klare, einfach gehaltene Filme. Das waren also weniger Reißbrett-Entscheidungen als Bauchgefühl. Demnach, dass mein Team und ich verfilmt haben, was ich mit meinem Großvater erlebt hatte, konnte ich viel auf meine Intuition bauen. Das hat mir bei diesem ersten Kurzfilm sehr geholfen, mich zurecht zu finden. Ich habe großen Respekt vor Künstlern, die mit Fiktion umgehen können. Das finde ich viel schwieriger.

Der äußere Drehort, das Haus, wo steht es? Wie lange haben Sie danach gesucht?

SAVIC Es ist tatsächlich das Haus meines Großvaters, in dem er selbst so verwahrlost war. Es steht circa 40 Kilometer von Sarajevo entfernt in einem kleinen Dorf. Kurz bevor ich entschieden habe, den Film zu drehen, konnten meine Mutter und ich ihn dazu überzeugen, auszuziehen und ihn in einem Altersheim unterbringen. Diese Erleichterung gab uns das innere OK,das Projekt anzugehen. Wir haben natürlich einiges am Haus verändert. Innen- wie Außenaufnahmen,wir hatten nur den einen Drehort.

Im vergangenen August lief der Film im Sarajewo Film Festival. Wie waren die Reaktionen dort?

SAVIC Es war eine sehr familiäre Vorstellung. Vermutlich ein Drittel des Publikums bestand aus meiner Familie. Wir waren danach alle gemeinsam mit Alija, der die Hauptrolle spielt, essen. Es war schön, diese große Familie, die in alle Länder verteilt ist, zu diesem Anlass zusammen zu bekommen. Ich war sehr froh, dass sie den Film gut angenommen haben und bereit dazu waren, eine negative Familiengeschichte mit einem fremden Publikum zu teilen. Das schätze ich sehr. Alija ist da vonkritischerer Natur: er meinte „nicht schlecht“. Das ist vermutlich das größte Lob, was er uns allen(auch sich) geben würde.

"No One's Home" ist Ihr erster Film - wie geht es bei Ihnen jetzt weiter?

SAVIC Ich studiere noch etwa zwei Jahre Freie Kunst. Dabei möchte ich meine Arbeit als Künstlerin weiterentwickeln. Nach diesem für mich sehr großen und persönlichen Projekt, in das so viele Menschen involviert waren, ist es, denke ich, Zeit wieder etwas anderes zu machen. Ich beschäftige mich wieder mehr mit politischen Themen und möchte ein paar kleinere Arbeiten machen. Ich denke aber nicht, dass das mein letztes Filmprojekt war. Es gibt immer etwas, das einen beschäftigt. Ich entscheide dann meist erst unterwegs, in welches Medium oder Format sich das am besten übersetzen lässt

Freitag: 16.30 Uhr, CS 4. So: 20.15 Uhr, Achteinhalb.

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