Ausstellung zur Pressefotografie Als die Welt aus dem Entwicklerbad kam

Berlin · Die Pressefotografie veränderte in den 1890er Jahren unsere Weltanschauung, wie eine Schau im Deutschen Historischen Museum anhand der Schätze des Ullstein-Pressearchivs zeigt.

Wilhelm zwo war 1918 auf einmal Wilhelm null. Er musste abdanken und zog mit seinem Clan ins Exil nach Holland. Einer der ersten Paparrazi kam auf die Idee, das gebrochene Oberhaupt heimlich abzulichten. Er kletterte über die Parkmauer, versteckte sich im Heuwagen, und dann Klick! Das Foto des Nicht-mehr-Gewollten war in allen Gazetten der Welt abgedruckt. Eine Schmach für Wilhelm II.

Die gemeinsame Ausstellung von Ullstein Bild/Axel Springer Syndication GmbH und dem Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin veranschaulicht anhand von 345 Originalabzügen Bedeutung und Macht der Pressefotografie. Sie entstand Ende des 19. Jahrhunderts – die Zeitungswelt veränderte sich dadurch, ihre Wirkkraft verstärkte sich. Denn Bilder (nicht Kleider) machen Leute.Am Beginn stand in den 1880er Jahren die Erfindung der Autotypie, ein neues Druckverfahren, mit dem nun auch Fotografien auf Zeitungspapier gedruckt werden konnten. Vieles, wovon man gehört und gelesen hatte, war nun auch zu sehen. Zeitungen wurden mindestens zweimal am Tag – der Aktualität wegen – in Großstädten für Groschenpreise verkauft und Boten an manchen Tagen aus den Händen gerissen. Die Weltereignisse in Nah und Fern, militärische Auseinandersetzungen, Kriege, Katastrophen, aber auch Neuerungen sowie reichlich Klatsch und Tratsch kamen massenhaft aus dem Entwicklerbad. Dort wurde auch das neue Medium der Illustrierten geboren. Die „Berliner Illustrirte Zeitung“ („BIZ“), Flaggschiff des Ullstein Verlags, brachte es als Wochenillustrierte und Marktführer bis zu Auflagen von gut zwei Millionen Exemplaren.

Aus den Schätzen des Ullstein-Archivs schöpfend, präsentiert das DHM die besten oder treffendsten Fotos aus dieser Pionierzeit von 1894 bis 1945: Aufnahmen von Georg und Otto Haeckel, Philipp Kester, Martin Munkacsi, Felix H. Mann, Erich Salomon oder Max Ehlert. Wobei sich die Sujets nach der Machtübernahme der Nazis 1933, als auch der Ullstein Verlag enteignet und „arisiert“ wurde, merklich änderten: Ziel war es fortan, eine heile Welt zu suggerieren.

In der Hochzeit der Pressefotografie profilierten sich auch Frauen in dem Gewerbe, wie Yva (die Jüdin Else Ernestine Neuländer, 1942 von den Nazis ebenso ermordet wie zwei Jahre später auch Erich Salomon) und Rosemarie Clausen. Auch die damals führenden Agenturen wie Labisch und Zander werden bedacht, zwischen Rotationsmaschinen der Zeitungsdruckereien und Bergen von Zeitungspapier. Eine Wonne für Zeitungsfans. Hier wird die Blütezeit des Pressewesens dokumentiert. 1906 fotografiert etwa Otto Haeckel in Deutsch-Afrika den Reichstagsabgeordneten Hermann Dietrich mit einer Trophäe, einem erlegten Krokodil. Das Tier wurde aufgehängt und ist dreimal größer als der große, massige Deutsche mit Tropenhelm und Schnauzer. Oder: 1919 lichtet Walter Gircke auf dem Brandenburger Tor Regierungstruppen ab: Unten lief der Spartakusaufstand, in dessen Verlauf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet wurden. Oder: 1898 fängt Waldemar Titzenthaler Kadetten in einer preußischen Kaserne ein. Locker stehen sie im Kantinenraum und schlürfen Berliner Weiße mit Schuss. Zwei schwergewichtige Damen mit bis ans Kinn zugeknöpften Kleidern schenken aus. Das Bild entspannter Jungmänner wurde in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ veröffentlicht und könnte Sinnsucher dazu gebracht haben, eine militärische Karriere in Betracht zu ziehen.

Dass die Pressefotos des Ullstein Verlags, Originalabzüge und Glasnegative, den Zweiten Weltkrieg überstanden, ist ein glücklicher Umstand. Das Papierarchiv ging im Bombenhagel unter. Die Hinterlassenschaften zeigen, wie wir Heutigen noch geprägt sind von Sehgewohnheiten, wie die Medien visuelle Sehnsüchte der Leser bedienen. Eine ausgezeichnete Schau.

Bis 31. Oktober. Täglich 10 bis 18 Uhr. Der Katalog kostet 19,80 €.

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