Religionskritik Respektlose Fragen an einen gar nicht so lieben Gott

Saarbrücken · Der Journalist Bernard Bernarding hat die Bibel mit kritischem Blick neu gelesen und rechnet mit der christlichen Theologie ab.

 Bernard Bernarding, bis 2015 stellvertretender SZ-Chefredakteur   Foto: Rolf Ruppenthal

Bernard Bernarding, bis 2015 stellvertretender SZ-Chefredakteur  Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Presse- und Bilderdienst Rolf Ru

Es ist schon eine seltsame Geschichte, die uns die Bibel da erzählt. Von einem allmächtigen, allwissenden Gott, der aber die Geschöpfe, die er – warum auch immer – irgendwann in seiner unendlichen Existenz zu schaffen beliebte, nicht unter Kontrolle bekommt. Der sie daher ständig mit Plagen aller Art geißeln muss, seine Gunst willkürlich verschenkt, oft kleinlich, eifer- und rachsüchtig ist. Ein nach unseren „christlich-abendländischen“ Maßstäben oft bösartiger, brutaler, herzloser, sogar rassistischer Kriegsgott. Wenn beim evangelischen Kirchentag schon die AfD unerwünscht ist, müsste man den „Jahwe“ des Alten Testaments nicht erst recht ausladen?

Viele Christen nehmen das Alte Testament heute gerne pragmatisch als interessantes Stück Kulturgeschichte und halten sich am gütigen, verzeihenden Jesus der Bergpredigt fest. Bernard Bernarding will es ihnen und den Kirchen nicht so einfach machen. Die Theologie von Erbsünde, Erlösung, Gnade, die ganze kirchliche Sicht auf den Kreuzestod Jesu macht ohne das Alte Testament keinen Sinn. Das weiß der einstige Messdiener Bernarding. Und so legt sich der Journalist, der es als Korrespondent und stellvertretender Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung bis zu seinem Ausscheiden vor zwei Jahren gerne mit den Herrschenden in Politik und Wirtschaft aufnahm, beherzt mit dem Allmächtigen an. In seinem Buch „Und Anna seufzte zum Himmel empor“ seziert er die Bibel von der Schöpfungsgeschichte über den Exodus bis ins Neue Testament, arbeitet sich an den „fragwürdigen Helden“ Abraham, Moses und David ab und zeichnet die Erfindung der christlichen Lehre durch Paulus und die Entstehung kirchlicher Dogmen mit ihren teils aberwitzigen Argumentationsketten kritisch nach. Ein mutiges Projekt für einen bekennenden Nichttheologen, bei dem Vertreter der Zunft sicher methodische Einwände haben mögen. Bernarding geht nicht penibel mit Sekundärquellen um und zitiert auch schon mal einen Spiegel-Artikel als Beleg. Nicht immer wird klar, warum jene Bibel-Aussage als Produkt der Phantasie, eine andere wörtlich zu nehmen ist oder warum etwa die strittigen Textstellen beim Römer Flavius Josephus unhinterfragt als Beleg für die historische Existenz Jesu gelten? Und die etwas leichthin formulierte These, der Holocaust sei ein Religionskrieg gewesen, verdient energischen Widerspruch.

Bernarding stellt aber erfrischend respektlos ganz einfache Fragen, auf die er wohl – so könnte man es sich gut vorstellen – schon als Klosterschüler unbefriedigende oder ausweichende Antworten bekommen haben dürfte. Warum hat der „allmächtige“ Gott mit der Erschaffung von Adam und Eva schon „sein erstes Projekt auf der Erde in den Sand gesetzt“? Warum diskriminiert Gott Kain gegenüber seinem Bruder und treibt ihn zum Mord aus Eifersucht? Warum vernichtet er in Sodom und Gomorrha auch Schuldlose? Warum liebt er David, den lüsternen Schlächter und Leichenschänder, der nur „in euphemistischer Verdrehung der Fakten“ als Vorbild glorifiziert werden könne? Was im Ernst soll es uns lehren, dass Abraham seinen Sohn heimtückisch zu schlachten bereit ist und Lot seine Töchter zum Missbrauch anbietet? Und „warum um Himmelswillen sollten Sünder in aller Welt plötzlich von ihrem Joch befreit sein, wenn in Jerusalem jemand ans Kreuz genagelt wird?“

Der ganze „Mumpitz“, jede „groteske Geschichte“, jede „infame Passage“ (O-Töne Bernarding) der Bibel wird genüsslich ausgebreitet, flüssig, polemisch – und unterhaltsam: für Gläubige eine Zumutung, für Glaubensskeptiker ein Vergnügen. Ein Verriss der Bibel, gerade weil Bernarding sie bis zum Buch Genesis zurück ernst nimmt und aufzeigt: Hier wurzeln dank berühmter Kirchenlehrer wie Augustinus die Idee der Erbsünde, das fragwürdige Frauenbild, die Lustfeindlichkeit, das ewige Gefühl der Schuld – alles, was christlich erzogene Menschen seit Generationen mit sich tragen.

„Warum die Bibel schier unglaublich ist“ – für diesen Teil des Untertitels kann das Buch genug Belege liefern. „Warum der liebe Gott manchmal böse“ ist, das allerdings kann auch der Autor nicht beantworten. Und dieser Widerspruch zwischen den Ideen von Allmacht und Allgüte, der sich beim Blick auf die Welt auftut, ist ja keine Besonderheit des biblischen Gottes. Der bliebe auch, wenn man dem Appell des Autors folgte, Gott jenseits der Bibel „neu zu denken“. Dieser Aufruf steht am Ende von über 200 Seiten Religionsskepsis, weil sich „von der Projektion Gott kein Mensch ganz befreien“ könne. Am wenigsten der Autor, möchte man sagen. Es lohnt, an seinem Versuch teilzuhaben, es dennoch zu tun. Nur unter den Christbaum sollte man das Buch wohl besser nicht legen . . .

Bernard Bernarding: Und Anna seufzte zum Himmel empor – Warum der liebe Gott manchmal böse und die Bibel schier unglaublich ist. Tectum Verlag, 246 S., 28 €.

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