Die Rückkehr der saarländischen Band Neuschwanstein „Dass es nicht einfach wird, wusste ich“

Saarbrücken · Ist das ein Weltrekord? Das zweite Album der saarländischen Band Neuschwanstein ist erschienen – 40 Jahre (!) nach dem ersten. Wieso hat das so lange gedauert? Thomas Neuroth weiß es.

 Das fast endlose Werkeln im Studio am Album „Fine Art“ hat sich gelohnt: Neuschwanstein-Kopf Thomas Neuroth.

Das fast endlose Werkeln im Studio am Album „Fine Art“ hat sich gelohnt: Neuschwanstein-Kopf Thomas Neuroth.

Foto: Longbow Records

Langer Atem? Das ist grandios untertrieben. Vor 40 Jahren erschien das erste Album der Völklinger Band Neuschwanstein – damals war Helmut Schmidt noch Kanzler, Roger Moore noch James Bond. Und nun, anderthalb Generationen später, ist das zweite Werk erschienen: „Fine Art“, eine pralle Art-Rock-Wundertüte und die Wiederkehr einer Band, die im strengen Sinne keine mehr ist. Neuschwanstein ist heute ein Ein-Mann-Projekt, und der Mann heißt Thomas Neuroth. In der alten Heimat wohnt er schon lange nicht mehr,  heute lebt er in Münster, „der Liebe wegen“. Aber alle paar Wochen schaut der 63-Jährige hier vorbei, „eben typisch saarländisch“. Und so ist auch die Historie von Neuschwanstein, bei der man durchaus ein wenig ausholen muss.

Anfang der 1970er Jahre gründen fünf Freunde aus einer Völklinger  Schulklasse eine Band: Das Ziel: „Etwas machen, was es noch nie gab – was man sich halt so vornimmt, wenn man eine Band gründet“, sagt Keyboarder Neuroth heute mit ironisch-nostalgischem Abstand. Das ambitionierte Quintett quirlt psychedelischen Art-Rock mit Klassik, geprobt wird im Keller des Völklinger Gemeindehauses; als Gegenleistung beschallt die Band Konfirmationen. 1972 gibt es das erste Konzert unter dem  Namen Neuschwanstein. „Deutsch sollte der Name sein und romantisch klingen“, sagt Neuroth, „ich will auch nicht ausschließen, dass ich das ‚Neu‘ aus meinem Namen drinhaben wollte“. 1978 erscheint das Debüt „Battlement“. „Das war der Höhepunkt – und schon das Ende“, konstatiert Neuroth trockenhumorig.  Es geht, wie es eben so geht: Die Wege zerstreuen sich, einer der Fünf geht ins ferne Kassel. Neuschwanstein ist  Geschichte – erst einmal.

Nur Neuroth macht als Profi weiter, nimmt Deutschrock mit der saarländischen Michael-Kiessling-Band auf, schreibt Werbemusik und ein Musical. 2000, da wohnt er schon in Münster, kommt sein Sohn zur Welt. Der Vater bleibt  zuhause („meine Frau hat als Rechtsanwältin besser verdient“) und will, so ist der Plan, mit dem Kind auf dem Schoß am Laptop Musik schreiben. Neuroths Bilanz: „Das hat die ersten 15 Jahre gar nicht funktioniert.“ Immerhin tritt Neuschwanstein wieder in sein Leben, ausgerechnet durch einen Todesfall: Vor acht Jahren ruft ihn der Flötist der Band an, denn der Manager von einst ist gestorben. „Da kam viel Vergangenheit hoch“, die alten Freunde nehmen wieder Kontakt auf  – an ein gemeinsames Album nach so langer Zeit und bei so viel Distanz denken sie allerdings nicht mehr. Aber Neuroth beginnt wieder im Sinne Neuschwansteins zu komponieren und engagiert ein halbes Dutzend Profis für das nun  geplante neue Album, darunter die Münsteraner Geigerin Sabine Fröhlich. Die sei „fast gestorben“, sagt Neuroth, als er ihr seine Pläne für seinen möglichst satten Sound erklärt: 14 Mal soll sie für ein Stück die Komposition der ersten Geige einspielen, zwölf Mal die der zweiten, die Bratschen zehn Mal, die Solovioline sowieso.

Zwei Jahre lang wird in Neuroths Heimstudio, auf dessen übersichtlichen 14 Quadratmetern höchstens drei Musiker gleichzeitig Platz finden, aufgenommen; nochmal zwei  Jahre sitzt er an der Mischung des opulenten, synthesizerfreien  Klangbilds mit Flöten, Streichern  und einem donnernden Rock-Instrumentarium.

Viel Arbeit also. In dieser Zeit nennt ihn seine Familie  den „Herrn der Augenringe“, sagt Neuroth, denn er werkelt ab Mitternacht, und ab 8 Uhr morgens stehen wieder Kindererziehung, Haushalt und Gartenpflege an. Neuroth beschäftigt sich dann noch einmal ein Jahr  lang mit dem Cover, das unter anderem eine Zeichnung des französischen Künstlers Honoré Daumier zeigt. „Vielleicht habe ich auch so lange gezögert, das Album zu veröffentlichen“, mutmaßt er wohl treffsicher, „weil es dann  nicht mehr nur mir allein gehört“.

Mit dem Album, das in großem Spannungsbogen barocke Flöten, aussschweifende Gitarrensoli, Passagen von filmmusikalischer Dramatik und mitunter rasante Tempiwechsel bietet, ist Neuroth sehr zufrieden, wie er sagt – zurecht. „Fine Art“ verbindet Rock-Pathos mit Renaissance-Klängen, lässt Gitarren und Flöten sich über Melodiebögen verfolgen, nimmt das Tempo heraus, um ganz im Lyrischen aufzugehen – bis es wieder schnell und laut wird. Schon der Auftakt „Fêtes“, angelehnt an Debussy, wirkt wie mehrere Stücke in einem, führt über zehn Minuten lang durch mal anheimelnde, mal harsche Klanglandschaften. „The Angels of Sodom“ lässt, wie der Titel nahelegt, die Gitarren sägen, während „God’s little plan“ wie eine kleine burleske Piano-Skizze wirkt. An Ideen, Kontrasten, Stimmungswechseln ist hier kein Mangel, auch hört man dem Album nicht die jahrelange, penible Fummelarbeit im Studio an: Hier dominiert musikalische Weite, es klingt nach großer Besetzung, nach Spontaneität und großem Spaß am Musizieren.

Da erstaunt es nichtmal, dass Neuroth zwischendurch eine Geschichte liest, „Die Geschichte vom kleinen Hähnchen“, mit dezent gurgeligem Harry-Rowohlt-Timbre; der hätte das in der Tat auch lesen sollen, erzählt Neuroth, doch während der Korrespondenz starb Rowohlt. Nur ein kleines Detail stört den Komponisten am Album: Die Pause vor „Der Mond ist aufgegangen“ (in einer wohlig gefühlvollen Version) „könnte drei Sekunden länger sein“, sagt er. Also nichts, was ihn um den Schlaf bringt.

Neuroth hat das Album nun auf seinem eigens dafür gegründeten Label Longbow herausgebracht. Die französische Firma, die in den 90er Jahren  das  vergriffene Neuschwanstein-Debüt neu aufgelegt hatte, zeigte Interesse am neuen Album, aber letztlich wurde man sich nicht einig. Also ging Neuroth ins Münsteraner  Gewerbeamt und kam als Label-Besitzer wieder heraus, eine mitunter knifflige Aufgabe mit viel Papierkram und Buchhaltung.

Zu haben ist das Album „Fine Art“ über Neuroths Internet-Seite und auch bei seiner Lieblingsbuchhandlung: in Dudweiler am Markt. Bei Amazon bietet er es nicht an, „denn diese Firma zerstört  den Einzelhandel“.  Um die 500 Stück hat Neuroth bisher verkauft, auch in die USA, nach Schottland und nach Japan, wo ein Händler gleich 70 Stück orderte. Riesenzahlen sind das nicht, aber Neuroth trägt es mit Fassung. „Dass es nicht einfach werden würde, die Produktionskosten wieder reinzuholen, wusste ich.“ Es ging ja um das Album, und das ist nun da.

 Neuschwanstein

Neuschwanstein

Foto: Longbow Records

Kontakt: www.longbowrecords.de und Buchhandlung am Markt, Dudweiler, www.alban-sunde.de

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