Staatstheater-Premiere „Nippeljesus“ Eine Mission namens Kunstverteidigung

Saarbrücken · Nippelalarm in der Saarbrücker Stadtgalerie: Staatstheater-Premiere von Nick Hornbys „Nipplejesus“ als mobiles Erzähltheater

 SST-Schauspieler Philipp Seidler (Bildmitte) in der Rolle des Museumswärters Dave in Nick Hornbys Stück „Nipplejesus“, das das Staatstheater in die Stadtgalerie-Ausstellung „In the Cut“ verlegte.

SST-Schauspieler Philipp Seidler (Bildmitte) in der Rolle des Museumswärters Dave in Nick Hornbys Stück „Nipplejesus“, das das Staatstheater in die Stadtgalerie-Ausstellung „In the Cut“ verlegte.

Foto: Andrea Kremper/SST/Andrea Kremper

Was ist Kunst? Was darf, soll, muss sie? Wie manipulativ ist der zeitgenössische Kunstmarkt? Und wer entscheidet darüber, was gezeigt werden darf? Das darf, soll, muss jeder für sich allein herausfinden, lautet das Fazit von Nick Hornbys Schauspiel „Nipplejesus“: Als witziges Plädoyer für die Freiheit der Kunst klinkt sich das Stück in tagesaktuelle Diskussionen ein – Banksy und Gustave Courbets „Ursprung der Welt“ lassen grüßen.

Seine brillante Analyse männlicher Charaktere hat dem 1957 geborenen englischen Schriftsteller, bekannt geworden durch seine Romane „High Fidelity“ und „About a boy“, den Titel „Meister männlicher Bekenntnisse” eingebracht. Auch in „Nipplejesus“ konfrontiert uns Hornby mit einer maskulinen Sicht. Und wo passte der männliche Blick auf ein Kunstwerk mit reichlich Konfliktpotenzial besser hin als in eine ebenfalls kontrovers diskutierte Ausstellung aus weiblicher Sicht? Generell ist es ein glänzender Schachzug des Saarländischen Staatstheaters, die Stadtgalerie und die Moderne Galerie als Kooperationspartner für den Spielort zu gewinnen. Dass die ersten Aufführungen aber ausgerechnet in der Ausstellung „In the Cut – Der männliche Körper in der Feministischen Kunst“ (verlängert bis 13. Januar) laufen, verleiht ihnen eine besondere Intensität: Ein besserer Rahmen lässt sich kaum denken.

Am Sonntag war Premiere in der Stadtgalerie, wo eine (notwendigerweise) begrenzte Anzahl Zuschauer von Schauspieler Philipp Seidler in der Rolle des Museumswärters Dave durch die Ausstellung gelotst wurde. Seiner Frau zuliebe hat Dave – 30, keine Ausbildung – seinen gefährlichen Job als Türsteher aufgegeben und im Museum angeheuert. Sein Job ist die Bewachung einer Darstellung von Jesus am Kreuz, die sich bei näherer Betrachtung als Mosaik winziger Brustwarzen entpuppt, die aus Pornoheften ausgeschnitten wurden. Nippelalarm! Dave ist schockiert von der als blasphemisch em­­­pfundenen Darstellung; das Objekt des Anstoßes ist nicht real präsent, hier ist die Phantasie des Zuschauers gefordert. Dennoch versucht Dave, sich dem Kunstwerk anzunähern, wird zum Beobachter der Betrachter und versucht, sich über deren unterschiedliche Reaktionen eine Meinung zu bilden.

Nachdem er die Künstlerin kennengelernt hat, verliert er auch seine Vorurteile ihr gegenüber, findet sie sympathisch, fühlt sich von ihr persönlich wertgeschätzt. Schließlich macht er die Verteidigung des Objekts zu seiner Mission und reagiert umso verletzter, hilfloser und aggressiver, als sich nach einem Anschlag auf die Collage herausstellt, dass deren Zerstörung kalkuliert war: als Teil einer Filminstallation über das provokative Potenzial von Kunst, bei der Dave unfreiwillig mitwirkte. Dave fühlt sich betrogen – und hadert erneut mit seinem Kunstverständnis.

Regisseur Matthias Mühlschlegel (Ausstattung: Jasmin Kaege) hat „Nipplejesus“ als mobiles Erzähltheater inszeniert, bei dem Seidler die Emotionen des Geprellten so authentisch spielt, dass sich Daves Konflikt direkt auf die Zuschauer überträgt: Fordernd sucht Seidler Blickkontakt, spricht einen direkt an und genießt maliziös die somit subtil verstärkte Irritation, die sich inmitten all der expliziten Abbildungen erigierter Phalli, onanierender Männer und kopulierender Geschlechtsorgane ohnehin einstellt.

Wieder am Mittwoch, 12. Dezember, sowie am 6. Januar, je 18 Uhr, in der Stadtgalerie sowie am 23. Januar, 6. und 13. Februar, jeweils um 18.30 Uhr, im Saarlandmuseum. Karten und Infos unter: www.staatstheater.saarland.de

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