Vergoldete Provokationen Ganz unten oder: Papa wird’s schon richten

Saarbrücken · Der Rapper Sido ist mit seinem siebten Album der Hauptact beim Völklinger UrbanArt!-HipHop-Festival.

 So voll wie auf unserem undatierten Foto vom HipHop-Festival im Völklinger Weltkulturerbe dürfte es dort auch diesmal werden.

So voll wie auf unserem undatierten Foto vom HipHop-Festival im Völklinger Weltkulturerbe dürfte es dort auch diesmal werden.

Foto: UrbanArt!-HipHop-Festival

Sidos Beitrag zur Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbildung reduzierte sich früher auf die kompetente Einführung in Vulgärsprache. Doch seit aus dem Aggressor ein Integrator wurde, ist sein Bildungsmodell breiter angelegt. Schon auf dem letzten Album „VI“ ging er als schlechtes Beispiel voran und setzte im Erklärstück „Löwenzahn“ auf die eigene kaputte Kindheit als Mittel der Abschreckung.

Die Schulung in praktischen Lebensfragen wird nun auf seinem siebten Album konsequent fortgeführt. Im Video zu „Papa ist da“ setzt sich der Berliner, die Kapuze des Hoodies übern Kopf gezogen, auf einen Stuhl und informiert über das Leben als rasante Achterbahnfahrt. Sein Auditorium: vier kleine Jungs, Kapuzen über die Köpfe gezogen und goldene Masken vorm Gesicht. Ihr Lehrer spart nicht mit Hinweisen zum richtigen Verhalten: nichts gefallen lassen, nicht rumheulen. Und wenn’s mal Stress gibt: Papa ist da. Von der finsteren Seite des Daseins weiß Sido, als Paul Würdig 1980 geboren, lehrreiche, weil persönliche Geschichten zu erzählen. Er tat es 2004 erstmals für eine größere Öffentlichkeit als Gangsterrapper im etwas anderen Heimatlied „Mein Block“, und er tut es als Volksrapper seither immer wieder. Seine Herkunft bleibt weiter ein Thema: „Ganz unten“ beschreibt unter Mithilfe des Frankfurter Rappers Hanybal und einer simplen, geloopten Klavier-Phrase die Hoffnungslosigkeit des Plattenbau-Ghettos, „Geuner“ kommt auf die eigenen Sinti-Wurzeln zu sprechen.

Wenn es nicht um ihn geht in den Milieuskizzen, dann um andere, die noch keinen Ausweg aus der Misere gefunden haben: der Obdachlose, dem Alkohol als letzte Hilfe bleibt, oder der Knacki, für den jeder Tag ein Strich ist. Von trister, alarmierender Monotonie ist dann der Sound geprägt. Sido mag dank Ehefrau, Kindern, Häuschen sowie diverser Nebengeschäfte den kommoden Abschnitt seines Lebens erreicht haben, aber er vergisst nicht die existenziellen Nöte und Sorgen von Menschen im Blick zu behalten, deren Schicksal auch seines hätte sein können. Der Mittdreißiger bleibt damit ein Sprachrohr der Straße, ein rappender Anwalt der Angezählten und Aussortierten.

„Das goldene Album“ mit seinen 15 Tracks ist ein geglückter Schritt zurück. Während der Vorgänger mit seinem Hang zum Mainstream-Pop für Hitparade oder Firmenfeier prädestiniert war, ist der Nachfolger nah am Szene-Hip-Hop alter Schule orientiert. Die kritische Reflexion sozialer Wirklichkeit verquickt gekonnt ernsthafte Absichten und amüsante Einsichten, Feierei und Pöbelei und kommt bei Beats und Raps relaxt auf den Punkt. Ein pädagogisch wertvolles Produkt, das für Groß und Klein in der Kinder-, Jugend- oder Erwachsenenbildung flexibel einsetzbar ist. Paul Würdig alias Sido hat als sprechsingender Poet mit Herz und Seele Beachtliches vollbracht: die Demonstration von Realität über ihre Simulation zu stellen. Das ist echte Provokation.

Sido: Das goldene Album (Universal).
Konzert am 14. Juli (22 Uhr) beim UrbanArt!-HipHop-Festival in Völklingen.

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