Ballett im Staatstheater Getanzt durch Himmel und Hölle

Saarbrücken · Starke Stücke und eine Compagnie in Hochform überzeugten am Samstag beim Ballettabend „Verlangen“ im Saarländischen Staatstheater.

 Stijn Celis’ Choreografie „Your passion is pure joy to me“ mit  Marioenrico D’Angelo, Federico Longo, Saúl Vega-Mendoza, Mahomi Endoh (v.l.).

Stijn Celis’ Choreografie „Your passion is pure joy to me“ mit  Marioenrico D’Angelo, Federico Longo, Saúl Vega-Mendoza, Mahomi Endoh (v.l.).

Foto: Bettina Stöß / Staatstheater/Bettina Stoess

Verlangen kann überwältigend sein, pure Leidenschaft. Oder verzehrend, ja schmerzhaft. Dann gibt es das stille Verlangen. Und eines,  das schüchtern  in uns verborgen bleibt und sich nur manchmal an die Oberfläche traut.  Der dreiteilige Ballettabend „Verlangen“ im Staatstheater (SST) zeigt alle diese Facetten dieses großen Gefühls – in drei ganz unterschiedlichen Choreografien.

SST-Ballettchef Stijn Celis eröffnete den Abend mit seiner Choreografie „Your passion ist pure joy to me“, die bereits 2009 für das Göteborger Ballett entstanden ist.  Auch wenn der Titel sich auf einen Choral von Bach bezieht, ist es doch die elegisch-schöne Musik von Nick Cave, kombiniert mit wenigen Klängen von Boulez und Penderecki, zu der sieben Tänzerinnen und Tänzer auf leerer Bühne und weißem Tanzboden agieren (Louiza Avraam, Dean Biosca, Marioenrico D‘ Angelo, Yaiza Davilla-Gomez, Mahomi Endoh, Federico Longo, Saul Vega-Mendoza). Nichts lenkt hier ab von den Tänzern, denen Celis als Solisten viel Raum gibt. Den nutzen sie überzeugend – mal meditativ in wunderbar filigranen Bewegungen, dann wieder weit ausholend, sich gegenseitig provozierend.

Es geht um „Verlangen nach Trost“ liest man im Programmheft, um vertanzten Schmerz, quälende Erinnerungen.  Der Moment berührender Sinnlichkeit: Wenn  Louiza Avraam, wie als würde sie Schutz suchen, mit ihrem ganzen langgliedrigen Körper ihren Partner umklammert, der sich mit ihr ekstatisch durch den Bühnenraum dreht, um sie dann sanft wieder abzusetzen. Celis‘ puristische Tanzsprache eröffnet dem Publikum einen Zugang zu dem Thema des Abends  – ein guter Auftakt.

   Ein Motiv aus Jiri Kylians gefeierter Choreografie „27’52“.

Ein Motiv aus Jiri Kylians gefeierter Choreografie „27’52“.

Foto: Bettina Stöß / Staatstheater/Bettina Stoess

Man muss es dem Staatstheater-Ballettdirektor hoch anrechnen, dass er immer wieder Weltklasse-Stücke nach Saarbrücken holt, auch wenn das die Messlatte für ihn selbst sehr hoch legt. Jiri Kylians „27‘52‘‘ “ (bezugnehmend auf die Länge des Stückes) von 2002 ist ein solches Werk – eine immer wieder weltweit aufgeführte Perle des zeitgenössischen Tanzes.  Kylians Choreografie lebt nicht nur von ihren präzisen, unglaublich vielfältigen, filigranen Bewegungen – bis in die Fingerspitzen wird hier nichts dem Zufall überlassen –, sondern auch vom Bühnenbild, dem raffinierten Lichtdesign und der rhythmischen Soundcollage mit integrierten Textpassagen von Dirk Haubrich.

Die Compagnie des Staatstheaters glänzt in diesem zu Recht als Konzeptkunstwerk bezeichneten Stück durch technische Perfektion. Die explosiv-expressiven Bewegungen sitzen, immer wieder frieren die Tänzer ihre Bewegungen ein, pausieren. Es blubbert, zischt und knallt  beunruhigend, metallisch-harte Rhythmen klingen wie Schüsse oder Schläge, von denen die Tänzer wie getroffen  niedersinken. Es wird geschubst und gerangelt. Schatten der Tänzer auf der Bühnenrückwand  verstärken die Bilder. Aus einer Attacke wird schließlich ein Miteinander, ein herantastendes Sich-Kennenlernen in der Bewegung, schließlich Verlangen, Begehren. Den Tänzern wird im wahrsten Sinne des Wortes der (Tanz-)Boden entzogen.  Alles ist in Bewegung.

Ergreifende Sinnlichkeit zeigen Melanie Lambrou und Efthimis Tsimageorgis im berauschenden Pas-de-deux des Finales. Ihre umwerfende  erotische  Ausstrahlung ist nicht nur ihren nackten, schwitzenden Oberkörpern  geschuldet.  Am Ende löst sich das Bühnenbild auf, die beiden Tänzer werden vom schwarzen Tanzteppich verschluckt, weiße Stoffbahnen fallen auf die Bühne. Ein Happy End sieht anders aus. Das Saarbrücker Publikum ist begeistert.

Totale Verausgabung dann im letzten, mitreißenden Teil des Abends: Andonis Foniadakis  Erfolgsstück „Selon désir“ (von 2004)  bringt  Verlangen schon durch die Wahl der Musik  – Chöre aus Bachs Matthäus- wie Johannes-Passion in dröhnender Lautstärke – mit Religion in Verbindung. Es wehen die Haare, es fliegen die weiten Röcke, wenn die gesamte Compagnie In Zweier- und Viererformationen choreografische Elemente zeitversetzt variiert, sich durch Himmel und Hölle in Ekstase tanzt.  Foniadakis reiht Sprünge, Hebungen und Drehungen im atemberaubenden Tempo der Bachschen Musik aneinander, verlangt den Tänzer alles ab. Schon beim Zuschauen gerät man außer Atem. Am Ende sind Tänzer und Publikum erschöpft, aber glücklich. Ein großes Fest für die Sinne. Donnernder Applaus.

Termine: 22., 24. und 28. Februar; 16. März; 11. und 15. April. Karten und
Infos: Tel. (06 81) 309 24 86.

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