Kino Hoffen auf ein „Filmarchiv der Großregion“

Saarbrücken · Was tun mit den Filmschätzen der Vergangenheit, die langsam verfallen und dann für immer verloren sind? Eine Tagung in Saarbrücken hat sich mit der Lage der Filmarchive in der Region beschäftigt.

 Luxemburg, Du hast es besser: Das „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA) in Dudelange archiviert unter anderem mehr als 200 000 filmische Dokumente und 500 000 Fotos. Das CNA hat ein Jahresbudget von drei Millionen Euro.

Luxemburg, Du hast es besser: Das „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA) in Dudelange archiviert unter anderem mehr als 200 000 filmische Dokumente und 500 000 Fotos. Das CNA hat ein Jahresbudget von drei Millionen Euro.

Foto: Tobias Keßler

Das Gedächtnis löst sich auf, Erinnerungen verblassen  und kommen nie wieder – begreift man die Filme der Vergangenheit als kollektives Gedächtnis, als kulturelles Erbe von Menschen und Regionen, dann droht uns eine große Amnesie, eine kulturelle Demenz. Denn das filmische Erbe ist bedroht: Selbst unter idealen archivarischen Bedingungen, was Temperatur und Luftfeuchtigkeit angeht, altert und verfällt Filmmaterial. Umso schneller bei der leider üblicheren Unterbringung in nicht-idealen, weil unterfinanzierten Archiven; oder, im Falle privater Filmschätze, in feuchten Kellern und auf staubigen Dachböden, wo Filmdosen vor sich hin rosten oder irgendwann im Müll landen und verloren sind.

Was tun mit dem Filmerbe? Wie archivieren? Und wie finanzieren?  Damit hat sich nun eine Saarbrücker Tagung beschäftigt, organisiert vom Saarländischen Filmbüro, der Uni Saarbrücken und dem Saarländischen Kulturministerium. Im Saarbrücker Schloss stellten Experten aus der Großregion den Stand der Dinge in Sachen Archivierung vor – und dieser Stand könnte je nach Land, Region und Stadt unterschiedlicher kaum sein. Das machte Andrea Wurm von der Uni Saarbrücken gleich in der Eröffnung deutlich: Während etwa Luxemburg in seinem „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA) alles zentral sammele und aufbereite, geschehe dies zum Beispiel in Belgien nur verstreut in verschiedenen Institutionen; das mache es schon grundlegend schwer, passende oder interessierte Ansprechpartner zu finden (so war bei der Tagung auch kein Referent aus Belgien anwesend).

Im Saarland gebe es, erklärte Wurm, das gemeinsame Archiv von Saarländischem Rundfunk und Südwestrundfunk, aber kein offizielles saarländisches Archiv, wenn auch einen privaten Verein. Und das Landesarchiv habe so gut wie keine Filme im Bestand. Wurms Fazit: Innerhalb der Großregion fehlen die Verbindungen zwischen Archiven und zentrale Anlaufstellen. „Wer sich informieren will, muss sich durch viele Institutionen wühlen.“ Aber Wurm hofft langfristig auf „ein Filmarchiv der Großregion“, dessen Anfang (neben dieser Tagung) das EU-Projekt „Digitale Steine“ machen soll, das noch bis 2019 läuft – beginnend mit dem Schwerpunkt Industriekultur, die die gesamte Großregion miteinander verbindet.

Wie schwierig schon das Sichten von Bestand sein kann, zeigt sich, wenn etwa die Forbacher Médiathèque 100 Kurzfilme und Dokus vor allem über den Bergbau besitzt, aber kein Abspielgerät mehr für das betagte U-Matic-System. Um die Filme überhaupt einmal zu sichten, müssen die Filme zu Kollegen nach St. Avold gekarrt werden. „Die Lage könnte besser sein“, sagte auch diplomatisch Thomas Grand von der Kulturinstitution Image’Est mit Sitz in Épinal – zwei Jahre habe man gebraucht, um das Geld für einen ordentlichen Filmscanner zusammenzukriegen. „Wenn wir Material digitalisieren wollen, brauche wir Gelder, die wir nicht haben.“ Grand sprach auch über die Forschungen von Nadège Mariotti von der Unversité de Lorraine: Seit vier Jahren klappert sie Archive der Region ab und versucht, einen Katalog über Lothringer Bergbaufilme zu erstellen – ein mühseliges Unterfangen.

Wie paradiesisch Archivzustände sein können, dank staatlicher Unterstützung, zeigte der Vortrag von Mélina Napoli vom „Institut national de l’audiovisuel“ (INA): Das öffentlich-rechtliche französische Unternehmen, 1975 gegründet, sammelt und digitalisiert alle französischen Radio- und TV-Produktionen. 1000 Menschen in sechs Städten sind damit beschäftigt. Zwei Millionen Sendestunden sind digitalisiert, die das INA teilweise kommerziell auswertet: TV- und Radioproduzenten können Material für eigene Sendungen kaufen. Aber es gibt auch frei zugängliches und kostenloses Material, 50 000 Stunden und 1,2 Millionen Fotos. Das INA bespielt mit Archiv­häppchen die sozialen Netzwerke (800 000 Facebook-Fans, 45 000 Follower auf Instagram). Der meistgeklickte Clip ist eine Reportage von 1958 über eine Schule, die ihre kleinen Schüler auf Klappbetten und mit leiser Musik in den Mittagsschlaf wiegt. Auf eine Frage aus dem Publikum, wie das INA denn die betreffenden Künster bezahle, wenn es Inhalte bei facebook und Youtube teilt, die dafür nicht zahlten, wurde der Vortrag etwas schwammig. Es gäbe durchaus Verträge, und das mit Facebook sei sehr komplex.

Komplex ist auch die Technik, wie Simon Wareshagin vom INA erläuterte: Die Bilder und Videos sind in höchstauflösenden Formaten auf Servern gespeichert, die immer wieder selbst zügig veralten, so dass man regelmäßig mit leistungsstärkeren Modellen nachrüsten müsse. So muss man dann zwangsweise sozusagen auch die Abspielmaschinen archivieren. Wareshagin ernüchtert: „Die Industrie hat gar kein Interesse, etwas zu produzieren, das langfristig alles abspielen kann.“

Der Dokumentarfilmer C. Cay Wesnigk warf einen Blick auf Deutschland und beklagte, dass hier eine generelle Verpflichtung für kommerzielle Produzenten fehle, ein Exemplar ihres Werks einem Archiv zu überlassen, anders als etwa in Frankreich oder Luxemburg. Wesnigk erläuterte die Idee der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok), Busse mit Filmscannern auszurüsten, mit denen man übers Land fahren könne, um Filme in verstreuten Archiven oder Privatsammlungen aufzuzeichnen. Doch diese „Digibus“-Idee habe keinen Rückhalt in der Politik gefunden und damit auch keine Finanzierung. „Das Bundesarchiv war vielleicht auch ganz froh“, spekulierte Wesnigk, „das will nicht noch mehr Material“. Auch der Historiker  Dirk Alt kritisierte die zögerliche Haltung der Politik: „Die alte Regierung hat zu wenig getan, die neue Regierung muss viel mehr tun.“

Bei der Tagung, die ein erster Schritt hin zu einem Filmarchiv der Großregion sein soll, hat die Universität des Saarlandes Unterstützung signalisiert; auch das Kulturministerium in Form der Abteilungsleiterin Heike Otto lobte die Idee: „Ein Traum geht in Erfüllung.“ Aber leicht wird diese Erfüllung, das machte die Tagung klar,  keineswegs.

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