Schauspiel-Premiere Im Spukschloss der Gutmenschen

Saarbrücken · Kein bisschen komisch, kein bisschen böse: Bettina Bruinier macht in der Alten Feuerwache aus Ravenhills „Wir sind die Guten“ ein Requiem.

 Die mit Treppen und Podesten ausgestattete Einheitsbühne Volker Thieles vibriert vor Symbolik, ruft in ihrer Sterilität und Künstlichkeit Science-Fiction-Filme auf: Szene mit Verena Bukal, Lisa Schwindling, Anne Rieckhof.

Die mit Treppen und Podesten ausgestattete Einheitsbühne Volker Thieles vibriert vor Symbolik, ruft in ihrer Sterilität und Künstlichkeit Science-Fiction-Filme auf: Szene mit Verena Bukal, Lisa Schwindling, Anne Rieckhof.

Tragödie oder Farce? Mark Ravenhills Dramolett-Reigen „Shoot, Get Treasure. Repeat“ („Wir sind die Guten“) lässt beide Lesarten zu. Das Stück, das die Terror-Ängste der westlichen Welt zynisch karikiert, wurde mal als trashiges Entertainment zur Lage der Wohlstandsnation inszeniert, mal als pathetische Klage über den Krieg der Kulturen.

In der Saarbrücker Feuerwache erklingen am Freitagabend zu Aufführungsbeginn und am Ende sakrale Klänge – die Saarbrücker Schauspielchefin Bettina Bruinier hat sich entschieden. Dass sie konsequent beim Moll bleibt und mit so viel Ernsthaftigkeit bei der Sache ist, es scheint das womöglich Beste, was sich über diesen zweifelhaften Abend sagen lässt. Denn er tunkt Ravenhills grell ausgemalten Kosmos in eine bedeutungsschwangere Albtraum-Atmosphäre, in der kopflose Soldaten und zwei peinliche weiße Todesengel durch die verschachtelte Kulisse wandeln.

Die mit Treppen und Podesten ausgestattete Einheits-Bühne Volker Thieles vibriert vor Symbolik, ruft in ihrer Sterilität und Künstlichkeit futuristische Science-Fiction-Filme auf, andererseits zaubern die Videos von Ayse Özel den Dschungel herbei. Grüne Blätter-Muster virtueller Computerspiele überwuchern das klinische Appartement. Die roten Lichter der Alarmanlage blinken, das Babyphon kreischt, Vögel zwitschern und das Meeresrauschen von Relax-CDs verbreitet Zuversicht. Da ist es, das Sicherheitsparadies der Wohlstands-Bürger, das Überwachungshölle und Angstkerker zugleich ist.

Mutti (Lisa Schwindling) lamentiert über ihre Coffein-Intoleranz und Akupunktur-Nadel-Allergie. Alex (Raimund Widra) sorgt sich tierisch, ob es bei der Zeugung seines Sohnes Alex hinreichend friedlich zuging, und Liz (Verena Bukal), die sich einfach nur aus allem raushalten will, plagt sich mit Schlaflosigkeit wegen spitzer Folterschreie aus der Nachbarwohnung. Nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen – funktionieren, das sind die Verhaltensmuster von Mark Ravenhills Klischee-Personal: Wir sehen lauter Hysteriker, Egomanen, Sadisten und Gutmenschen.

„Wir tolerieren. Wir akzeptieren. Wir begrüßen“, hört man in der Eingangs-Szene, dem Chor der Troerinnen, es klingeln die Ohren. Aber nichts bewegt sich an diesem Abend, nicht das Gefühl, nicht der Intellekt. Das liegt auch an der schlappen darstellerischen Kraft. Das gesamte siebenköpfige Ensemble planscht hilflos in seinen Mehrfach-Rollen, denn Bruinier hat den Schauspielern die Comicnummer untersagt, und der Text selbst gibt nun mal keine psychologisch prallen Charaktere her. Das Ergebnis: Aufsage-Pappkameraden, fad oder überfordert wie Martina Struppek, die als ordinäre Unterschichts-Tussi und Mutter eines Gefallenen im wahrsten Sinne des Wortes die herumhopsende Äffin geben muss. Doch es unmenschelt nirgends, es spukt nur ein bisschen in der Alten Feuerwache. Schärfe und Sog, Fehlanzeige.

Bettina Bruiniers Inszenierung mutet vielmehr an wie ein Ausweichmanöver vor dem provokativen Vorwurfs-Unterton der Vorlage, der durchaus Widerstand auslösen könnte. Denn wir, die „Guten“, werden denunziert, die einfach nicht kapieren wollen, warum „die Anderen“ auf die perfekte, die „einzige“ Welt der „Freiheit, Demokratie, Wahrheit“ mit Wut reagieren. Sind wir wirklich so selbstgerecht und unreflektiert? Zumindest sind wir bei Ravenhill ein wenig vielschichtig. Patty (Martina Struppek) entwickelt nach einer Krebsdiagnose eine Höllenaggression und fühlt sich moralisch zu Mordphantasien legitimiert, sogar gegen den überfürsorglichen Gatten (Marcel Bausch). Eine Ansteckungsbombe will sie für ihn sein, jawoll! Diese subtile Dialektik besitzen bei weitem nicht alle sieben Szenen, die Bruinier aus Ravenhills Zyklus ausgesucht hat, der 2010 erstmals in Deutschland gezeigt wurde.

Keine Meisterwerke sind es, sondern leicht zugängliche Gebrauchs-Szenen mit akzeptabler politischer Aussagekraft. Dem Publikum war’s recht. Großer Beifall.

Nächste Termine: 18., 23., 26., 31. Januar, Tel. (0681) 3092 482 oder kasse@staatstheater.saarland

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