Saarländisches Staatstheater An den Grenzen des Erträglichen

Saarbrücken · Verstörendes Multimedia-Spektakel über den Krieg: In der Alten Feuerwache hatte die Ein-Mann-Oper „Soldier Songs“ Premiere.

 Der Sänger Salomón Zulic del Canto brilliert in der Ein-Mann-Oper in vielen verschiedenen Rollen.  

Der Sänger Salomón Zulic del Canto brilliert in der Ein-Mann-Oper in vielen verschiedenen Rollen.  

Foto: Andrea Kremper/SST/ANDREA KREMPER

Vor Beginn spielen sich die Musiker derart aufgekratzt und ohne Rücksicht auf das Publikum warm, dass man sich fragt, ob das als Akt unterschwelliger Aggression wohl schon zum Stück gehört. Während der Vorstellung merkt man manchem Zuschauer dann an, dass er es kaum aushält und gerne nach draußen flüchten würde. Licht! Luft! Stille! Dabei dauert das Ganze nur gut eine Stunde, aber die ist kompakt bis an die Grenzen des Erträglichen: Akustisch und visuell wird man so wuchtig in den Horror von Kriegen katapultiert, dass man wähnt, das Blut zerfetzter Körper und den Staub zerbombter Städte auf der Zunge zu schmecken. Hoffnungen und Ängste in Uniform: Am Sonntag hatten in der Alten Feuerwache die „Soldier Songs“ des amerikanischen Komponisten David T. Little Premiere.

Little, Jahrgang 1978, schildert darin exemplarisch die fiktive Biografie eines amerikanischen Soldaten, die er aus Interviews mit Kriegsveteranen herausgefiltert hat. Ganze neun Jahre soll Little, Chart-tauglicher Shootingstar der amerikanischen Opernszene, an seinem Musiktheater gearbeitet haben. Die Ein-Mann-Oper wurde bislang nur in den USA aufgeführt; das Saarländische Staatstheater hat sich nun die europäische Erstproduktion gesichert und sie in englischer Originalsprache als multimediales Spektakel inszeniert.

Little unterteilt das Geschehen in drei Akte. In Teil Eins erleben wir die Unbedarftheit eines Knaben, der Heldentum kritiklos verklärt und für den Krieg nur ein spannendes Computerspiel ohne Konsequenzen ist. Game over? Neustart! Teil zwei konfrontiert uns mit den naiven Erwartungshaltungen eines jungen Freiwilligen, die durch die Realität bitter enttäuscht werden. Und Teil Drei verdeutlicht die Sprachlosigkeit traumatisierter Veteranen und den Schmerz eines Vaters, der um seinen gefallenen Sohn trauert. All diesen Personen gibt Sänger Salomón Zulic del Canto, ausgestattet mit Headset und Handmikrophon, ein Gesicht und eine Stimme. Sein strahlend kraftvoller und falsettfähiger Bariton meistert jede Ton- und Stimmungslage, dazu verkörpert er intensiv jedes Entwicklungsstadium: das daddelnde Kind; den zynisch kriegslüsternen, ja tötungsgeilen Rekruten; den verängstigten, hilflosen Soldaten; den gebrochenen Veteran.

Regisseur Jochen Strauch und Martin Hickmann (Ausstattung und Videos) greifen Littles Dreiteilung auf und setzen sie im Bühnenbild als eine Art Tryptichon um. Drei riesige Kästen, die jeweils um die eigene Achse rotieren können und deren sämtliche Seiten als Projektionsfläche dienen, dominieren hochkant den Raum. Jeder birgt ein Innenleben: ein Kinderzimmer mit Playstation, eine Folterkammer, eine Krankenstation mit Heiligenbildchen. Auf diesen Opferaltar werden, teils in zuckenden Stroboskop-Blitzen (Licht: Patrik Hein), kommentierende Bilder und Videos projiziert – bunte Comics von Superman als Sinnbild des All American Hero, graue Schemen kämpfender Soldaten, Videospielsequenzen, Metamorphosen der Gesichter von Staatsmännern und Terroristen, Schockfotos aus Gefangenenlagern, digitale Grabmäler in unendlicher Reihung. Es ist ein guter Schachzug, zur Verdeutlichung außerdem die Texte einzublenden, die als O-Töne von Zeugenaussagen eingespielt und/oder von del Canto gesungen werden. Die Schrift wächst, die Zeilen überlappen sich – zusammen mit der Musik und den Bildern ergibt sich eine fortwährende Verdichtung.

Little kombiniert hier zeitgenössische Neue Tonsprache mit analog generierten harten Beats, die zu Marschrhythmen und zornigem Techno-Stakkato wachsen; dazu wabert mitunter ein beunruhigender elektronischer Klangteppich (Sounddesign: Walter Maurer, Michael Scheufler). Dabei bleibt das siebenköpfige Orchester unter der dynamischen Leitung von Justus Thorau durchweg transparent, alles Perkussive vom Schlagwerk ist genauso fein durchhörbar wie die Klangflächen der Streicher, die wiederholt ins Bodenlose zu rutschen scheinen. Filigraner Friede kehrt erst ein, als der Vater am beflaggten Sarg seines Sohnes trauert und Zuschauer auf die Bühne gebeten werden, um an den einzelnen Stationen Andacht zu halten. Verdienter Riesenapplaus – nur die beiden Statisten, die del Canto zuarbeiten, hätten umsichtiger geführt sein können.

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