Robert Schwentke über seinen Film „Der Hauptmann“ „Ich wollte einen Anti-’Untergang’ machen“

Saarbrücken · In Hollywood hat Regisseur Robert Schwentke (52) Filme wie „Flight Plan“ mit Jodie Foster und „R.E.D.“ mit Bruce Willis inszeniert. In „Der Hauptmann“ erzählt er, nach einer wahren Begebenheit, von einem deutschen Deserteur, der sich mit einer gefundenen Uniform als Offizier ausgibt. Als sich ihm versprengte Soldaten anschließen, findet er Gefallen an der Macht – und steigert sich in einen Rausch der Grausamkeit. Ein herausragender Film, der dem Zuschauer einiges abverlangt.

 Ein Bild von den Dreharbeiten: Regisseur Robert Schwentke zwischen Darsteller Max Hubacher (l.) und Kameramann Florian Ballhaus.

Ein Bild von den Dreharbeiten: Regisseur Robert Schwentke zwischen Darsteller Max Hubacher (l.) und Kameramann Florian Ballhaus.

Foto: Weltkino Filmverleih

Sie erzählen von Grausamkeit und Kriegsverbrechen aus deutscher Täterperspektive – fürchten Sie da  Kontroversen um den Film?

SCHWENTKE Man muss sich schon sehr bemühen, um ihn falsch zu verstehen. Er hat bewusst keine moralische Gebrauchsanleitung. Im deutschen Nachkriegsfilm erzählen ja nur zwei Filme aus der Täterperspektive – einmal der Fernsehfilm „Wannseekonferenz“ von 1984 und „Aus einem deutschen Leben“ von 1977 mit Götz George. Es ist auffällig, dass es das im Kino fast nicht gibt, auch selten in der deutschen Literatur.

Was ist anders, wenn man aus der Tätersicht erzählt?

SCHWENTKE Die Fragestellung ans Publikum ist eine andere. Bei   „Der Hauptmann”  muss der Zuschauer selbst Position beziehen, nachdenken über die eigene Haltung und über die menschliche Fähigkeit, einander weh zu tun, ungerecht zu handeln, sich Feindbilder zu erschaffen. Manchmal kommt sie zum Vorschein, manchmal nicht –  aber sie ist immer da. Den Film sehe ich da als eine Art Prophylaxe, damit man sich Gedanken macht über etwas, über das man nicht gerne nachdenkt.

Wie sehen Sie da den Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz als Hitler – in dem wirken ja auch die Nationalsozialisten wie Opfer.

 Max Hubacher als „Der Hauptmann“.

Max Hubacher als „Der Hauptmann“.

Foto: Julia M. Müller / Weltkino/Julia M. Müller

SCHWENTKE Ich wollte dezidiert einen Anti-„Untergang“ machen, mit dem Film hatte ich große Schwierigkeiten. Er behauptet, dass diese kulturelle Katastrophe zwischen 1933 und 1945 hätte vermieden werden können, wenn der verrückte Führer seinen vernünftigeren Untergebenen zugehört hätte. Der Nationalsozialismus war ein extrem dynamisches System, darüber wollten wir einen Film machen: nicht die erste Täterreihe beleuchten, sondern die vierte, fünfte, sechste.

Am Anfang stand diese Idee – wie haben Sie dann die reale Geschichte entdeckt?

SCHWENTKE Ich hatte vorher andere Geschichten gefunden, etwa die des Hamburger Polizeibataillons, das in Polen wütete. Aber vieles war noch grausamer als jetzt im „Hauptmann“, noch viel weniger darstellbar, ohne es absolut unerträglich zu machen. Die Geschichte war ein Glückfall, weil es um alle Befehls-Ebenen  geht – von ganz unten, den Gefreiten, hoch bis zum Admiralsgeneral.

Ist die Erschießung von Gefangenen mit einer Flugabwehrkanone historisch belegt? Mir kam es vor wie ein Verweis auf Nordkorea.

SCHWENTKE Das ist historisch belegt. Und als sich Munition im Geschütz verkantet hat, haben sie  weitergemacht mit Handfeuerwaffen und Gewehren.

Ihr Drehbuch verbindet enorme Brutalität immer wieder mit einer sehr schwarzen Komik – etwa wenn darüber sehr bürokratisch diskutiert wird, wer nun eigentlich bei den Grausamkeiten zuständig ist.

SCHWENTKE Ja, es ist am Rande auch eine Bürokomödie.

Wie schwer war es da, als Autor die richtige Balance zu finden?

SCHWENTKE Schwarze Komödie ist bei mir immer dabei, was mir auch hilft, mich diesen Themen zu nähern. Die endgültige Balance fand bei den Proben mit den Schauspielern statt. Sie wussten, dass sie zwar keine Karikaturen, sondern Menschen spielen sollen, aber dennoch etwas überhöht agieren sollen.

Der Film vermeidet bewusst einen dokumentarischen Stil – auch die Schwarzweißbilder Ihres Kameramanns Florian Ballhaus sind sehr kunstvoll und geradezu Anti-Doku.

SCHWENTKE Ich schätze den filmischen Naturalismus nicht. Den finde ich genauso künstlich hergestellt wie ein Pappe-Expressionismus. Eine Überhöhung liegt mir da näher – und sie gibt mir mehr Farbe auf die Palette.

Sie haben Ihren Film zum Teil in Polen gedreht. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie dort die Kulisse eines deutschen Lagers aufgebaut haben?

SCHWENTKE Ganz merkwürdig. Unsere Statisten waren alle Polen, und alle waren vom Zweiten Weltkrieg extrem gezeichnet. Sie hatten Väter, Mütter, Großeltern, Onkel, Tanten, manchmal Brüder, die im Krieg umgekommen waren. Diese Zeit ist noch sehr lebendig in Polen. Auch für die Schauspieler war es  schwierig. Bernd Hölscher etwa fing nach den Erschießungsszenen, wenn Menschen in dem großen Erdloch um ihr Leben betteln,  zu weinen an und konnte nicht mehr aufhören.

Der Film wurde vom Deutsch-Polnischen Filmfonds mitfinanziert. Gibt es den schon länger?       

SCHWENTKE Ja, aber er wurde jetzt ausgebaut angesichts der politischen Lage in Polen. Die deutsche Regierung hat sich entschlossen, die kulturellen Bande zwischen Deutschland und Polen zu verstärken und den Fonds aufgestockt. Und das Polnische Filminstitut hat gesagt, dass dieser Film gemacht werden müsse, weil es diese Art von Vergangenheitsaufarbeitung noch nicht gibt.

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