Buchhandel Schnittstelle mit einschneidenden Folgen

Stuttgart/Saarbrücken · Insolvenz des Zwischenhändlers KNV bedroht die gesamte Buchbranche – zumal, falls Amazon nun den „Retter“ spielen wollte.

  Noch gibt es kaum Engpässe beim für Buchhandlungen überlebenswichtigen Bestellen über Nacht. Vor allem kleinere Verlage bringt die KNV-Insolvenz in Bedrängnis. Ihre Erlöse aus dem Weihnachtsgeschäft liegen auf Eis.

Noch gibt es kaum Engpässe beim für Buchhandlungen überlebenswichtigen Bestellen über Nacht. Vor allem kleinere Verlage bringt die KNV-Insolvenz in Bedrängnis. Ihre Erlöse aus dem Weihnachtsgeschäft liegen auf Eis.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Wieso kann die Insolvenz eines Buchzwischenhändlers gleich zu einer Bedrohung für den gesamten Buchhandel werden? Um die Frage zu beantworten, muss man etwas weiter ausholen. Als vergangene Woche ruchbar wurde, dass die Stuttgarter Firmengruppe Koch, Neff & Volckmar (KNV) – neben Libri und Umbreit Deutschlands wichtigster Barsortimenter – Insolvenz anmelden musste, war dies Zeitungen und Sendern bestenfalls eine Meldung wert. KNV, der mit Abstand größte unter den drei Zwischenhändlern, stellte bislang sicher, dass am Vortag in deutschen Buchläden bestellte Bücher am nächsten Tag verlässlich ausgeliefert waren. Eine Garantie, die für die in Zeiten von Amazon ohnedies mit dem Rücken zur Wand stehenden Buchhandlungen schlichtweg eine Überlebensnotwendigkeit ist.

Insoweit käme es – insbesondere für unabhängige Buchhandlungen, die in politischen Sonntagsreden immerzu als Garanten der deutschen Buchkultur hochgehalten werden – einer Katastrophe gleich, würden sie nun infolge der Insolvenz des führenden Buch-Logistikers KNV von der gewohnten Lieferkette abgeschnitten. Viele von ihnen dürften bald mit Liefer-Engpässen zu kämpfen haben, sofern der mittlerweile eingesetzte Insolvenzverwalter das Ruder nicht herumreißen und für Vertrauen sorgen kann. Nicht nur, dass die Konkurrenten Libri und Umbreit wegbrechende KNV-Lagerbestände bei Weitem nicht ausgleichen könnten. Unklar ist auch, ob und wieviele Verlage ihren Vertriebsweg über KNV kappen – aus Angst, dass ihre Titel in der Konkursmasse verenden. Damit würde der Nachschub fehlen für die gut 4000 an KNV angeschlossenen deutschen Buchhandlungen (von 5600 insgesamt). Bislang hielt das Stuttgarter Familienunternehmen 590 000 Titel von rund 5000 Verlagen vorrätig. Bislang führt sein Strudeln im Auslieferungsgeschäft noch nicht zu Engpässen oder Verzögerungen. Das bestätigt auch eine gestrige SZ-Umfrage unter saarländischen Buchhandlungen.

Wie gewaltig der Flächenbrand ist, der der Branche durch ein mögliches Ende von KNV droht, unterstreicht eine gestern Mittag verschickte Presseerklärung der Kurt Wolff Stiftung, in der sich Deutschlands unabhängige Verlage zusammengeschlossen haben. Darin machen die Independent-Verlage darauf aufmerksam, dass eine KNV-Insolvenz auch den ein oder anderen unabhängigen Verlag in den wirtschaftlichen Abgrund ziehen könnte. Dies deshalb, weil ihre Zahlungsforderungen an KNV nun ins Leere gehen könnten. „Eine erste Umfrage im Freundeskreis der Kurt Wolff Stiftung hat gezeigt, dass KNV einigen Verlagen allein aus diesem Kreis schn jetzt Summen bis zu 100 000 Euro schuldet, die Gesamtsumme beläuft sich momentan bereits auf weit mehr als eine Million Euro“, heißt es in der Mitteilung.

Stefan Wirtz, Kopf des saarländischen Conte Verlages, der Mitglied in der Kurt Wolff Stiftung ist, erzählt, „dass viele meiner Verlagskollegen das große Schlottern haben“ – weil KNV seit 15. November keine Zahlungen mehr an die Verlage entrichtet hat und damit deren Einnahmen aus dem Weihnachtsgeschäft derzeit auf Eis liegen. Bereits Ende vergangener Woche hatte der Literaturkritiker Dennis Scheck gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ die Befürchtung geäußert, insbesondere Kleinverlagen ohne Warenkreditversicherung stehe großer Schaden ins Haus. Dass KNV nicht nur Branchenkennern ein Begriff ist, verdankt sich Schecks ARD-Literatursendung „Druckfrisch“: In einer früheren Kölner Lagerhalle von KNV werden seit Jahren die Passagen seiner Sendung gedreht, in denen Scheck jeweils seine Top zehn der aktuellen Bestsellerlisten serviert und über diese richtet.

Die KNV-Probleme gelten als hausgemacht. Trotz eines 2014 für 22 Millionen Euro (offenbar viel zu spät) errichteten neuen Zentrallagers in Erfurt bekam der Zwischenhändler seine logistischen Probleme demnach nicht in den Griff, weshalb das Lager am Stammsitz Stuttgart mit in Betrieb blieb. Alle in der Branche sind sich einig, dass KNV gerettet werden muss, um den skizzierten Flächenbrand zu verhindern. Der inzwischen zum Insolvenzverwalter bestellte Rechtsanwalt Tobias Wahl beteuert denn auch, dies partout abwenden zu wollen. Gilt das Unternehmen doch als zu systemrelevant. In der Bankensprache würde man sagen: „too big to fail“.

Ohne Investor wird eine Sanierung nicht gelingen. Was aber, wenn dieser Investor am Ende der große Branchenschreck Amazon wäre? KNV war zuletzt bereits Hauptlieferant Amazons. Schon machen Gerüchte die Runde, dass Marktführer Amazon KNV übernehmen könnte. Sollte am Ende der abgesprungene Investor, der die KNV-Malaise vor Wochenfrist erst vollends ins Rollen  gebracht hatte, womöglich just der US-Konzern gewesen sein? Allein die schiere Möglichkeit, dass Amazon seine Marktmacht in Richtung einer Kontrolle des Barsortiments ausweiten könnte, muss alarmieren. „Es wäre keine schöne Vorstellung, wenn die Bücher plötzlich vom Erzfeind ausgeliefert würden“, unkte gestern Karsten Dehler von der Kurt Wolff Stiftung gegenüber unserer Zeitung. Könnte Amazon dann doch nicht nur die gesamte Wertschöpfungskette noch schamloser abschöpfen, sondern faktisch damit auch die Übernahme des stationären Handels einleiten – es wäre das Ende unserer Buchkultur.

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