Barenboim-Said-Akademie Lasst uns auf dem west-östlichen Diwan musizieren

Berlin · Ein Besuch in der Berliner Barenboim-Said-Akademie verdeutlicht, warum diese Musikhochschule eine ganz besondere ist.

Ein Stimmengewirr aus Hebräisch, Arabisch und Englisch breitet sich im Foyer des Pierre-Boulez-Saals aus. Als Mittagstisch bietet die Cafeteria für sieben Euro Hummus oder Schawarma an, ein arabisches Fleischgericht. An den kleinen Tischen sitzen junge Studenten aus Israel, Jordanien und Syrien. Auch Daniel Barenboim nutzt eine kurze Pause, um hier eine Kleinigkeit zu essen. Der Gründer und Präsident der Barenboim-Said-Akademie, einer besonderen Musikhochschule an der Französischen Straße in Berlin Mitte, muss am Abend wieder am Dirigentenpult stehen.

„Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“, ist auf einem Ausstellungsplakat im Treppenhaus zu lesen. Der Satz ist Goethes Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ von 1819 entnommen, scheint aber knapp 200 Jahre später alles andere als selbstverständlich zu sein. Bereits mit dem West-Eastern-Divan-Orchestra, das Daniel Barenboim mit seinem aus Palästina stammenden Freund Edward Said 1999 in Weimar gründete, ist eine Vision Wirklichkeit geworden. Junge Israelis spielen in diesem Spitzenorchester jeden Sommer mit Kollegen aus den arabischen Nachbarstaaten zusammen. Über die Musik lernen sie sich kennen und zu respektieren.Die vom Bund finanzierte, 2012 gegründete Barenboim-Said-Akademie, die seit 2016 den vollen Lehrbetrieb aufgenommen hat, sorgt nun das ganze Jahr über für interkulturellen Austausch. Die inzwischen 37 Studenten (bis 2018/19 sollen es rund 90 sein) mussten bei ihrer Bewerbung nicht nur ihre musikalische Begabung unter Beweis stellen, sondern auch Essays über humanistische Themen schreiben. Geisteswissenschaftliche Studien nehmen rund 30 Prozent des Stundenplans ein. Für die israelische Klarinettistin Miri Saadon machte gerade das den Reiz der Akademie aus: „Das hilft uns dabei, in jeder Situation über den Horizont hinauszublicken.“ Auch der in Nazareth geborene Palästinenser und Violonist Yamen Saadi hat hier gelernt, „auf andere zu hören und ihre Sichtweise zu verstehen. Das ist sehr wichtig für ein Gespräch und auch für die Musik.“ 

In der Testphase startete die Akademie ausschließlich mit Student(inn)en aus dem Nahen Osten. Seit 2016 sind auch einige Akademisten aus Europa und den USA dabei. Man brauche hier  eine realistische Perspektive von unserer Welt, sagt der britische, ägyptischstämmige Dekan Mena Mark Hanna beim Gespräch in seinem Büro. Mit seiner israelischen Kollegin Roni Mann, die die geisteswissenschaftliche Abteilung leitet, möchte der promovierte Musikwissenschaftler den Dialog fördern. Mit dem im gleichen Gebäude untergebrachten, von Frank Gehry entworfenen Pierre-Boulez-Saal haben die Studenten einen akustisch und architektonisch außergewöhnlichen Konzertraum zur Verfügung.

 Gerade steht die Klarinettennacht ihres Dozenten Jörg Widmann an. Es gibt kein Vorne und kein Hinten auf der Bühne des warm und transparent klingenden, ovalen Saals, der durch seine geschwungene Empore zu schweben scheint. Man kann die Musik hier nicht nur klar und ausgewogen hören, sondern auch sehen. Kein Sitzplatz ist mehr als 14 Meter von der Bühne entfernt. „Solch einen Ort der Kreativität hat sich Pierre Boulez immer gewünscht“, sagt Widmann Als Kompositionsprofessor unterrichtet er an der Barenboim-Said-Akademie die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Und ist begeistert von der Neugierde und Offenheit der Studenten.

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