Saarbrücker Lese-Performance Wilde Sachen machen

Saarbrücken · „Träumen zwischen Watte und Tampon“: Nora Gomringers kurzweilige Lese-Performance in der Sparte 4 des Staatstheaters.

 Autorin Nora Gomringer, 1981 in Neunkirchen geboren und heute in Bamberg lebend

Autorin Nora Gomringer, 1981 in Neunkirchen geboren und heute in Bamberg lebend

Foto: Judith Kinitz

„Saarbrigge, Dankeschön!“, postete Nora Gomringer zusammen mit ein paar Selfies am Samstagmittag auf ihrem Facebook-Account. Am Abend zuvor hatte die in Neunkirchen geborene Autorin in der Sparte 4 mit prächtig-wilden Geschichten, Gedichten, kernigen Aperçus und „Träumen zwischen Watte und Tampon“ mächtig vom Leder gezogen.

Die Tochter des Begründers der Konkreten Poesie, des Schweizers Eugen Gomringer, war an diesem Abend ebenso gut aufgelegt wie angriffslustig. Als Direktorin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia leite und bewohne sie zwar ein schönes feudales barockes Schloss in Bamberg im Auftrag des Freistaats Bayern, aber deshalb sei auch leider immer noch Söder (und vorher lange Seehofer) ihr Chef, erläuterte sie spitzbübisch grinsend ihre Tätigkeit, bevor sie nachlegte: „Aber es ändert sich alles, das kriegen Sie ja auch hier mit.“

Gomringer setzte sich gekonnt in Szene und performte in bester Slam-Manier, crossmedial hinter ihrem Laptop postiert, ihre Texte, die sie mit projizierten Illustrationen ihres verehrten Illustrators Reimar Limmer anreicherte, mit dem sie die Bände der „Trilogie der Oberflächen und Unsichtbarkeiten“ vorgelegt hat. In einer Art eklektischer Werkschau verhandelte sie die von ihr kunstvoll verhandelten Topoi – Monster, Krankheiten und Moden bzw. Sitten – und garnierte sie im Sinne eines unterhaltsamen und dennoch tiefsinnigen Storytellings mit Interpretationen, die in ihrer ungezwungenen Beiläufigkeit sowohl amüsierten als auch belehrten und berührten.

Mal setzte sie das Publikum bildlich auf den Stuhl des Gynäkologen, der seiner Patientin Folgendes sagte: „Ihre Mutter muss schön gewesen sein – untenrum. Aufgeklappt schau ich Ihnen nicht in die Augen, Madame.“ Das kam gut an, ebenso die ernsten Momente, der Autorin, die mit ihren bunten, etwas großformartigen Büchern zwischen Goethe und Heine optisch hervorsticht und die Buchhändler zur exponierten Zurschaustellung ihres Werkes zu nötigen trachtet. Hinter dieser schrillen Fassade blitzten aber auch die politischen und feministischen Positionen der engagierten und am Diskurs teilhabenden Autorin hervor. So entpuppte sich beim genauen Hinschauen eine kaleidoskopartige Illustrationen als ein Fraktal aus gebrochenen Füßen von Lotusfrauen aus China, wo sich Verliebte einer unsäglichen Sitte folgend zu Folterern der Angebeteten wandeln.

Ebenso wurde Gomringer auf einer Lesereise nach Usbekistan mit der dort gängigen Praxis des Brautraubs, der eine Art Freiheitsberaubung und den sozialen Tod der Opfer bedeutet, bekannt, was sie sehr berührend poetisierte. Gomringer beweist ein feines Gespür für gesellschaftliche Schieflagen, die sie meisterlich seziert, ohne ins Betroffenheitspathos abzudriften. Nicht nur optisch gleicht sie mit ihrer Pilzkopf-Frisur aus der Mod-Ära den Pilzen, die mit breit ausfächerndem Myzel aus dem verborgenen Erdreich ihr Leben und in Gomringers Fall ihre Inspiration beziehen.

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