„Mandy“ im Kino Achteinhalb Die Kettensäge im Märchenwald

Saarbrücken · Dunkles Meisterwerk oder prätentiöser Grusel-Kunstkino-Hybrid? Der Film „Mandy“ läuft am Freitagabend einmalig im Saarbrücker Kino Achteinhalb.

 Red Miller (Nicolas Cage) in seiner dunkelsten Stunde.

Red Miller (Nicolas Cage) in seiner dunkelsten Stunde.

Foto: SpectreVision, XYZ Films & Umedia / Koch Media/Jo Voets

Wie viele  Filme dreht Nicolas Cage eigentlich im Jahr? Vielleicht weiß das nur sein Buchhalter ganz genau. Jedenfalls scheint Cage ständig vor einer Filmkamera zu stehen, ob nun seiner Steuerschulden wegen oder weil er einfach gerne arbeitet. Ins Kino finden seine Filme nur selten, viele versenden sich im Streaming-Universum und stranden in der Vergessenheit; man könnte ihn also abschreiben, als Fließbandschauspieler mit Hang zum mimischen Berserkertum.

Aber: Er ist und bleibt ein intensiver Schauspieler, der sich in seine Filme, ob Drehbuch und Regie nun etwas taugen oder reine Routine sind, mit Haut und Haaren hineinwirft. Und finden Cage, ein interessanter Stoff und ein ambitionierter Filmemacher zusammen, dann kann etwas Besonderes entstehen: Jetzt eben „Mandy“, ein merkwürdiges, mal dunkel, mal blutrot schillerndes Werk, das sich mit großer Geste (und Schmackes) irgendwo im weiten Feld zwischen – sehr grob gesagt – Horror- und Experimentalfilm niederlässt; zwischen blutigem Grusel und künstlerischer Ambition, die man, je nach Geschmack, bejubeln oder auch prätentiös finden kann.

 Andrea Riseborough als Mandy.

Andrea Riseborough als Mandy.

Foto: SpectreVision, XYZ Films & Umedia / Koch Media/Jo Voets

Kino also, das polarisiert, was in der Ära von Filmen, die von Marktforschungen begleitet und bei Testvorführungen glattgeschliffen werden, keine schlechte Sache ist (wenn auch nicht per se gut sein muss). Bei Festivals jedenfalls wurde „Mandy“ euphorisch bejubelt und läuft nun vor seinem Heimkinostart bei uns in einigen ausgewählten Häusern – in Saarbrücken am Freitag im Achteinhalb, passenderweise in dessen Reihe „Nachteinhalb“, die sich ungewöhnlicheren Filmen widmet – zudem ist „Mandy“ für eine Kino-Nacht gemacht. Je später, desto besser.

Mit Naturbildern beginnt der Film, begleitet von der lässigen Schönheit des King-Crimson-Stücks „Starless“ – wir sind in einem tiefen (Märchen-)Wald, in dem der Arbeiter Red Miller (Cage) mit seiner Freundin Mandy Bloom (Andrea Riseborough) sein Paradies gefunden hat. Sie leben zusammen in einer einsamen Hütte, in der sie nachts durch ein großes Fenster die Planeten bestaunen; über ihnen spannt sich ein Sternenhimmel, der so unendlich zu sein scheint wie die Liebe der beiden. Doch unheil­schwanger umfließt eine dunkle Musik die Bilder, man spürt, diese Idylle ist endlich. Ein Sektengrüppchen, dessen kultisch verehrter Anführer mit seinen blonden Löckchen wie Schlagergott Christian Anders in den 70ern ausschaut, hat ein Auge auf Mandy geworfen, diese in sich gekehrte Frau mit der Narbe unter einem ihrer großen Augen. Eine ledrige Biker-Gang entführt Mandy für den Guru – doch als die seinem messianischen Charme nicht erliegt (es könnte an seinen allzu langen Monologen liegen), reagiert er grausam. Miller bleibt zurück – und seine Rache ist ebenso grausam. Den äußerlich kargen Plot hier zu verraten, sollte verzeihlich sein – denn um den geht es eigentlich nur in zweiter Linie. Wäre er wichtiger, wäre „Mandy“ nur eine „Ein Mann sieht Rot“-Variation im Wald. Aber dem Regisseur und Ko-Autor Panos Cosmatos (44) geht es um Stimmungen, um Atmosphäre, eindrückliche Bilder, Momente tiefster Intimität und auch bösartigster Grausamkeit. Den Wald (gedreht wurde in Belgien) taucht der Film in satte Rot- und Grüntöne, er wird zum mythischen Ort, der auch zeitlich entrückt ist – 1983 spielt der Film, im Radio läuft eine Rede von Ronald Reagan. Langsam bewegt sich der Erzählfluss durch die erste Filmhälfte, mit sanften Auf- und Abblenden, bevor „Mandy“ in der zweiten Hälfte mit regelmäßigen Schocks einen so episodischen wie gnadenlosen Rhythmus einschlägt.

 Die Biker aus der Hölle.

Die Biker aus der Hölle.

Foto: SpectreVision, XYZ Films & Umedia / Koch Media/Jo Voets

Da greift Cosmatos beherzt zur filmisch groben Kelle, er verbindet eine wenig subtile Christus-Symbolik (Cage mit Schraube in einer Hand) mit albtraumhaften Bildern und – auch das – einem Kampf zweier Männer mit Kettensägen. Begleitet wird all das von der beunruhigenden, mal sphärischen, mal dröhnenden Musik des isländischen Komponisten Johann Johannsson, der im Februar gestorben ist („Mandy“ ist ihm gewidmet). Sicher – bei einigen Szenen kann  man einwenden, dass der Regisseur sich hier und da bedient hat, ob bei David Lynch oder bei Clive Barkers „Hellraiser“ (das Stacheldesign einer Biker-Kluft). Aber das Ganze hat eine enorme Wirkung, der man sich nur sehr schwer entziehen kann.

Und Cage? Er hält das alles zusammen. Wer sonst könnte einen tragischen, unendlich angeschlagenen Menschen glaubhaft spielen, während er eine Kettensäge schwingt? Eine Schlüsselszene ist dabei jener Moment, der auch zeigt, dass Cosmatos seinen Stoff nicht ganz souverän im Griff hat. Cage spielt eine ungeheuer intensive Szene, er schüttet sich Schnaps in seine Wunden (trinkt den Rest), schreit und röhrt vor Schmerz und Trauer, bis man den Wahnsinn in seinen Augen zu sehen meint. Da bleibt es schleierhaft, warum Cosmatos diese extrem intime Szene in einer lächerlichen Kulisse zeigt, vor einer Tapete, die auch für 1983 schreiend ist, in einem Badezimmer mit Frottee-Klodeckel (und Cage in Doppelripp-Unterhose). Hier banalisiert und/oder ironisiert der Film seinen wohl tragisch­sten Moment, als drücke er sich vor zu viel Gefühl und fürchte ein zu abgebrühtes Publikum. Aber „Mandy“ erholt sich  – und zieht einen wieder tief hinein in seinen Sog.

Freitag, 22 Uhr, Kino Achteinhalb (Sb). Am 22. November erscheint „Mandy“ auf DVD/Bluray bei Koch Media.

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