Ilija Trojanows aufrüttelnde Saarbrücker Abiturrede „Meidet die Hölle der Kleingeistigkeit!“

Saarbrücken · Was der Schriftsteller Ilija Trojanow saarländischen Abiturienten gestern in der Modernen Galerie mit auf den Weg gab.

 Wie lässt sich die Wirkung von Literatur zusammenfassen? Es sind „radikale Ideen, die irgendwann mal zu neuen Ideen führen“, sagt Ilija Trojanow. Nachzulesen ist das in dem Interview, das seiner im Conte Verlag erschienenen Rede an die saarländischen Abiturienten beigegeben ist.

Wie lässt sich die Wirkung von Literatur zusammenfassen? Es sind „radikale Ideen, die irgendwann mal zu neuen Ideen führen“, sagt Ilija Trojanow. Nachzulesen ist das in dem Interview, das seiner im Conte Verlag erschienenen Rede an die saarländischen Abiturienten beigegeben ist.

Foto: dpa/Christian Charisius

Auch wenn nicht alle Stuhlreihen gestern früh um elf Uhr im Vortragssaal der Modernen Galerie gefüllt waren (schon gar nicht mit Abiturienten) – umso anhaltender war dafür der Applaus für Ilija Trojanows verschachtelte Rede an die saarländischen Abiturienten des Jahres 2018. Einleitend hatte er sie zwar gleich wissen lassen, dass er ihnen keine Ratschläge erteilen wolle – um dies dann auf Umwegen am Ende doch zu tun. Wenn sie so bedenkenswert sind wie die Trojanows, muss man dafür dankbar sein.

Auch wenn sich die Zuhörer dafür auf ein literarisches Spiel einzulassen hatten, das in seiner Überdrehtheit nicht wirklich funktionierte. Nicht nur, dass Trojanow seine Rede beständig mit (mehr oder weniger verfremdeten) Aktienkursständen durchtaktete, er baute auch noch eine Art dystopisches Setting darin ein. In Begleitung eines rätselhaft bleibenden „Elefantenkopfes“, in dem paradoxerweise die hinduistisch-buddhistische Götterfigur Ganesh mitzuschwingen schien, nahm er einen gedanklich mit in eine hoffentlich nicht allzu nahe Zukunft, in der wir dank eingepflanzter Chips zu neoliberal-ergebenen, geklonten „Abschöpfungsstrategen“ geworden sind. Was man mit diesen literarisch aufgeladenen Abschweifungen anfangen sollte, blieb sein Geheimnis.

Immer dann aber, wenn Trojanow, der auch als Schriftsteller („Der Weltensammler“; „Wissen und Gewissen“; „Die Versuchungen der Fremde“) dank seiner Vorliebe für Pluralitäten häufig Literatur und Leben, Fiktion und Journalismus paart und mischt, wieder die Kurve bekam und seinen Adressatenkreis gezielter in Blick nahm, wirkte diese Rede im besten Sinne geerdet, substanziell.

Dann schenkte er den Abiturienten reinen Wein ein und drehte ihre Lebensuhr schon mal 30 Jahre vor, um ihnen eine voraussichtlich durchschnittliche Existenz auszumalen: „Ihr Glück wird sich damit bescheiden, auf negative Überraschungen zu verzichten.“ Im Umkehrschluss hieße das: Leute, sofern Euch dies nicht genügt als Lebensziel, müsst Ihr Eure Freiheit nutzen. Trojanow ließ keinen Zweifel daran, dass es dazu mehr braucht, als die vermeintlich eigene Besonderheit bloß zu behaupten. Das tun heute 80 Prozent aller jungen Erwachsenen –  in den 50ern waren es nur zwölf Prozent, wie er nachschob. Trojanow verkniff sich den Zusatz, dass die Großelterngeneration da wohl mehr gesunden Realismus pflegte.

Dass Freiheit anderes meint als das selbstverliebte Sammeln biographischer Trophäen führte er vor Augen. Es gehört mehr dazu, als „ein Gap Year zu nehmen und in Neuseeland einen Wettkampf der Hütehunde beim Lenken der Schafe zu erleben“ – so sehr dies Horizonte erweitern mag. Um nicht „im Schlamm der Konformität“ zu stranden (oder den Betäubungsmitteln sozialer Medien zu verfallen), brauche es „Leidenschaft, Kreativität und Widerstand“. Anstatt ihre Ideen und Sehnsüchte, wie es uns gerne eingeimpft wird, auf Sparflamme zu dimmen, um so zu allem „immer Ja und Amen zu sagen“, sollten die jungen Leute für diese brennen. Man konnte sich da an eine Postkarte erinnert fühlen, die in den 80ern in vielen WG-Küchen hing. „Lebe wild und gefährlich“, stand darauf. Intensität forderte auch Trojanow. „Das ist tausendmal besser als die gemütliche Hölle duckmäuserischer Kleingeistigkeit.“

Damit landete er im Grunde gar nicht weit entfernt von dem, was der saarländische Kulturminister Ulrich Commerçon (SPD) in seinem Grußwort als Ziel von Schule formulierte: Persönlichkeiten zu formen, die in ihrem weiteren Leben einen solidarischen Umgang pflegen. „Setzen Sie Ihre Talente auch für das Wohl der Gesellschaft ein!“, bat sie Commerçon.

„Was es bedeutet, sich zu engagieren“, lautet passenderweise der Untertitel eines Gesprächs, das Trojanows im Conte Verlag erschienener Rede als Vertiefung beigegeben ist und den Band dadurch umso lesenswerter macht. Die Idee zu dieser sinnigen Erweiterung der (dank Unionstiftung, SR und Kultusministerium) bewährten Abiturreden-Reihe hatte SR-Literaturredakteurin Tilla Fuchs, die sie seit diesem Jahr von ihrem Vorgänger und Reihen-Erfinder Ralph Schock übernommen hat. Ihr Gespräch mit Trojanow differenziert dessen Abiturrede-Impulse weiter aus. Nicht nur, weil Trojanow darin auf die in (Hoch-)Schulen oft praktizierte „neoliberale Zurichtung“ näher eingeht oder das heutige „Ideal einer Persönlichkeit als Selbstverwirklichungs- und Ich-AG“ umfassender in Zweifel zieht. Das Gespräch behandelt auch die heutige Leerstelle „ideele Globalität“ abseits der ökonomischen, unsere nur noch punktuell aufflackernde gesellschaftliche Solidarität. Was Literatur für Trojanow zur existentiellen Orientierung in Zeiten einer „informativen Ghettoisierung“ umso unverzichtbarer macht. „Ihre große Qualität ist ja gerade die Präzision.“ Leute, lest also!

Ilija Trojanow: „Freie Fahrt voraus“, Rede an die saarländischen Abiturienten 2018. Conte, 64 Seiten., 9 Euro.
SR2KulturRadio sendet einen Mitschnitt der Rede (sowie ein Gespräch von Tilla Fuchs mit Trojanow) am 26.6. (20.04 Uhr) in der Reihe „Literatur im Gespräch“.

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