„Mettlach“ in der Alten Feuerwache Landeier in Gesundheitsschuhen

Saarbrücken · „Mettlach“, der Auftakt einer dreiteiligen Saarland-Saga, hatte Premiere in der Alten Feuerwache in Saarbrücken.

 Pläne schmieden für Mettlach: Lisa Schwindling als Rita, Bernd Geiling als Hermann und Sébastien Jacobi als Patrick (v.l.).                          Foto: Martin Kaufhold / SST

Pläne schmieden für Mettlach: Lisa Schwindling als Rita, Bernd Geiling als Hermann und Sébastien Jacobi als Patrick (v.l.).                          Foto: Martin Kaufhold / SST

Foto: Martin Kaufhold / SST/martinkaufhold.de ;Martin Kaufhold

Armes Mettlach! Der Kleidung der Leute nach zu urteilen, tummeln sich hier nur pragmatische Landeier, lächerliche Gestalten und unsicheres Jungvolk. Senior Hermann (Bernd Geiling) trägt, wen wundert's, beige – und darüber eine Pullunderweste. Kragen und Weste sind sauber, aber die Hemdsärmel sind schmutzig – aha, der Kerl hat was auf dem Kerbholz: Hermann hatte als junger Vater seine Familie verlassen, um sich in Nicaragua selbst zu verwirklichen. Nun ist er zurück und führt das Heimatforscher-Erbe seines bereits verstorbenen Bruders Hans fort, der offenbar viel beliebter war als er.

Die vitale Rita (Lisa Schwindling) aus dem Outlet Store von Villeroy & Boch kultiviert ihre robuste Schaffenskraft gleichfalls in spießigen Klamotten, selbst ihre weißen Pumps muten an wie Gesundheitsschuhe. Und Silke (Martina Struppek), Hermanns Tochter, tobt ihre zweifache Hysterie (den Furor der vom Vater im Stich gelassenen Tochter plus die Kontrollwut der gluckenden Mutter) in Funktionskleidung aus – pflegeleicht in Himmelblau, für die Putzfrau ebenso tauglich wie für die Krankenschwester.

Die jüngeren Männer? Witzfiguren in zu kurzen Hosen. Möchtegern-Künstler Jimmy (Michael Wischniowski), der eigentlich Torsten heißt, hat über sein knielanges Beinkleid eine unförmige Steppjacke gestülpt und läuft rum wie ein Kasten auf Stixi-Beinen. Während Patrick (Sébastien Jacobi), mit dem Rita ihren Traum von Kindern und Eigenheim pflegt, weshalb für weite Welt und Abenteuer kein Platz mehr ist in ihrem Lebensentwurf, im Anzug mit dreiviertellangen Bequemhosen und weißen Strümpfen in pantoffeligen Sandalen umherstrampelt.

Dass ausgerechnet dieser Hampelmann, der lieber mit seinem Saug­roboter herumalbert, als mit anzupacken, große Pläne hegt, Mettlach zum Erlebniszentrum und Tourismusmagneten machen will: grotesk.

In dieses Hinterwäldler-Idyll platzt wie ein grelles Knallbonbon die junge Luxemburgerin Sill (Pauline Schneider), eigentlich Sibille, von ihrer Mutter Silke herablassend „Püppi“ genannt: ein Gör mit langen blauen Haaren, silberglitzernden Turnschuhen und goldfarbenem engem Body. Ist sie die Frau von Welt, die innovative Impulse bringt? Wohl kaum: Sill versteckt sich und ihre Schwangerschaft vor dem ungewollten Kindsvater bei Opa auf dem Land und wird dabei nonstop von Mama per Whatsapp gegängelt. Und als ob ihr der Glamour ihrer Klamotten selbst nicht ganz geheuer wäre, kaschiert sie ihn unter einem rustikalen Holzfällerhemd – selbstbewusst sieht anders aus.

„Mettlach“ hatte am Freitag Premiere in der – trotz Ophüls-Festivals – gut besuchten Alten Feuerwache: als erster Teil einer Saarland-Saga, die Geschichten aus der Großregion auf die Bühne bringen will. Das Stück ist eine Kooperation mit Les Théâtres de la Ville de Luxembourg, entstanden aus einem Recherche-Projekt der beiden frankophonen Autorinnen Magali Tosato (die auch Regie führte) und Lydia Dimitrow von der Kompanie „mikro-kit“: Sie schufen sechs fiktive Antiheld-Biographien, die schicksalhaft mit dem Ort im Dreiländereck verknüpft sind, wobei das Grenzüberschreitende hier kaum eine Rolle spielt und auch kein Heimat-Begriff strapaziert wird. Mettlach dominiert die Kulisse: Links dräut fragmentarisch die St. Josephs-Kapelle, wo abwechselnd jemand Andacht hält; den Rest der Bühne teilen sich verschiedene Abteilungen von Villeroy & Boch, die wiederum erweiterte Schauplatz-Funktionen haben. In Schrankformat integriert: Hermanns Küche; die raumhohen Feuerwache-Fenster im Hintergrund leuchten als bunte Mosaiken (Bühne und Kostüme: Franziska Keune, Mirella Oestreicher).

Die wirtschaftliche Abhängigkeit des Standorts vom weltberühmten Keramikwaren-Hersteller ist geradezu haptisch greifbar, doch wird Mettlach nicht darauf reduziert. Zwar greift das Stück lokale und geschichtliche Besonderheiten auf, unter anderem wird die Historie des Orts bei fiktiven Bürgerversammlungen zur Gründung des Fördervereins „Mettlach 8.0“ aufgerollt. Das geschieht mit Hilfe von Projektionen und hat teilweise Quizcharakter – es darf gelacht werden. Überhaupt bewahrt der mitunter moselfränkisch säuselnde Abend einen heiteren, leichten Ton, den er nur verliert, wenn er sich als Drama versucht und daran verhebt: Wenn etwa Silke mit ihrem Vater abrechnet und dabei sogar mit dem Erdgeist im Park der Alten Abtei hadert (als Vogel ohne Flügel eine Symbolfigur), kippt das Ganze ins pathetisch Schwülstige. Doch im Grunde werden übers Ortsspezifische allgegenwärtige Probleme verhandelt: Generationen- und Eltern-Kind-Konflikte, Vergangenheitsbewältigung versus Zukunftsgestaltung, Abhängigkeit gegen Selbstbehauptung, Gehen oder Bleiben. Wenn aber Mettlach überall ist, wie man aus dieser Welt im Brennglas schließen darf: Hat sich dann die geplante Trilogie nicht bereits nach diesem ersten Akt erschöpft? Warten wir ab, welche Aspekte die anderen beiden Teile zutage fördern.

Termine in der Feuerwache: 22., 25. und 27. Januar; 1., 9.,  22., und 23. Februar.

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