Doku bei Arte über Völklinger Stahlunternehmer Hermann Röchling und die Unmenschlichkeit

Saarbrücken · Eine neue TV-Doku zeichnet das Leben von Hermann Röchling und die Geschichte der Völklinger Hütte nach. „Der Stahlbaron“ läuft Dienstag bei Arte.

„Ehrlose oder gewinnsüchtige Absichten“, die habe er „weiß Gott“ nicht gehabt. Das sagte Hermann Röchling 1948 in Rastatt vor einem französischen Gericht und schränkte ein: „Die brennende Liebe zu meinem Vaterland“ möge ihn „hier und da zu weit geführt haben“. Was mag der Völklinger Stahlunternehmer mit dem monströs verharmlosenden „hier und da“ gemeint haben? Das Schicksal von Zwangsarbeitern, die im Zweiten Weltkrieg in seine Völklinger Hütte verschleppt wurden und dort zu Hunderten starben?

Die 90-minütige Dokumentation „Der Stahlbaron – Hermann Röchling und die Völklinger Hütte“,  am Dienstag bei Arte erstmals zu sehen, zeichnet mit historischen Bildern und illustrierenden, manchmal etwas ungelenken Spielszenen das Leben Röchlings (1872-1955) nach, die Entwicklung der Völklinger Hütte und die Verflechtungen in den NS-Staat – Verflechtungen, die bis heute, siehe die emotionalen Diskussionen um die Umbenennung des Wohngebiets „Hermann Röchling Höhe“, nicht jeder wahrhaben will.

     Christian Stotz als jüngerer Hermann Röchling in einer der Spielszenen.

Christian Stotz als jüngerer Hermann Röchling in einer der Spielszenen.

Foto: moving story media/Steven Altig

Mit Bildern von der Hütte im Morgennebel beginnt der Film von TV-Journalistin Nina Koshofer, mit historischen Bildern von Völklingen – und von der Saar-Abstimmung: Es ist März 1935, Hermann Röchling ist laut Sprechertext „hochzufrieden“ mit der politischen Reise „heim ins Reich“. Dann springt der Film kurz wieder nach Rastatt 1948 – regelmäßig werden Momente aus dem Prozess wiederkehren, wie Erinnerungspflöcke in der ansonsten chronologisch erzählten Biografie. In Heidelberg holt sich der junge Hermann Röchling, damals Student und ganz Kind des Zeitgeistes, einen doppelten Schmiss; in den USA schaut er sich Stahlhütten an und nimmt die modernste Technik im Hinterkopf mit nach Völklingen, mit der er die Hütte zu einem blühenden Unternehmen macht, das Lohnarbeiter aus dem ganzen Land anlockt. Die bindet Röchling klug an sich: mit einem Krankenhaus, einem Schlafhaus, einer Säuglingsstation. „Die Hüttenarbeiter fielen ja nicht vom Himmel“, sagt die Saarbrücker Historikerin Inge Plettenberg, Hauptkommentatorin der Doku, „sondern man musste sie erst mal formen aus den vielen Bauern aus dem Hochwald“. Hendrik Kersten, Projektleiter an der Völklinger Hütte, fügt hinzu: „Das war natürlich eine kalkulierte Angelegenheit – die nächste Generation ist dann automatisch Hüttenarbeiter.“

Im Ersten Weltkrieg ist die Hütte wichtiger als je zuvor, sie stellt Stahl für Helme und Geschosse her, Röchling plündert Maschinen aus dem besetzten Frankreich und lässt, da viele seiner Arbeiter an der Front sind, Kriegsgefangene und Zwangsrekrutierte arbeiten. Nach dem Krieg steht die Hütte unter französischer Aufsicht; gegen die agitiert Röchling bei politischen Versammlungen der Liberalen Volkpartei – „das deutsche Volk sei zu wertvoll“, um von französischen Kommiss-Stiefeln zertreten zu werden. Später stellt die Hütte Stahl für die Befestigungsanlagen der französischen Maginot-Linien her, auf die im Zweiten Weltkrieg deutsche Granaten regnen, die ebenfalls mit Völklinger Stahl gefertig wurden. Ein lohnendes Geschäftsmodell.

Als Hitler 1933 Reichskanzler wird, reist Röchling nach Berlin, um sich als Verbindungsmann anzudienen, der sich für den Anschluss des Saargebiets stark macht. Das erste von fünf Treffen, in denen Röchling laut Plettenberg „immer die Gelegenheit genutzt hat, sein Konzerninteresse, den Arbeitskräftenachschub und den Rohstoffnachschub anzumelden“. Der Arbeitskräftenachschub wird im Zweiten Weltkrieg zu einem Problem für Röchling, der als 70-Jähriger zum Vorsitzenden der Reichsvereinigung Eisen ernannt wird, ein NS-Eliteposten in direkter Nähe von Albert Speer. Viele Arbeiter sind, wie im Ersten Weltkrieg, an der Front. Röchling lässt Zwangsarbeiter heranschaffen, vor allem aus Frankreich und Russland. Kersten: „Es war damals nicht ganz ungefährlich, als junger Mensch in Nancy über die Straße zu gehen. Denn dann konnte man ganz schnell in einem Zug landen, der nach Völklingen fährt und in der Kokerei endet.“

Für die Dokumentation ist Röchling „einer der Wegbereiter für die Verschleppung von Zwangsarbeitern aus den Ostgebieten“. Darunter sind auch Frauen – eine Überlebende, Mat­rjona  Schewtschenko, erzählt im Film von der Verschleppung, „niemand wusste wohin es geht“. (...) „Im Winter waren die Werkstücke eiskalt gefroren,“ erzählt sie, „die Haut unserer Finger blieb an ihnen kleben“. Die Zustände in den Röchlingschen Arbeiterlagern sind damals „landesweit berüchtigt“ (Plettenberg), es gibt ein betriebliches Schnellgericht, einen Werkschutz, der der Gestapo unterstellt ist, und viele Todesfälle. Der Film nennt keine Zahlen, aber 261 Menschen starben, darunter 60 Kinder.

Ein brutaler Kontrast zu dem Bild des gütigen Patriarchen Röchling, das sich teilweise bis heute hält. Unverständlich ist vor diesem Hintergrund, dass der Film zwar die „Bouser Höhe“ erwähnt, die von Röchling geplante und von den Arbeitern gebaute Siedlung, die dann ab 1956 „Hermann-Röchling-Höhe“ hieß – den Streit um eine Namensänderung erwähnt der Film aber nicht; auch nicht, dass die Siedlung heute nur noch „Röchling-Höhe“ heißt. Zeit dafür wäre bei 90 Minuten Dauer gewesen, und gerade die erbitterte Auseinandersetzung zeigt beispielhaft den schwierigen Umgang mit Hermann Röchling und den Unwillen mancher, hinter dessen Selbststilisierung zu blicken.

1949 verurteilt das Rastatter Gericht den damals 76-Jährigen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zehn Jahren Haft, zwei Jahre später  wird er 1951 vorzeitig entlassen, mit Rücksicht auf seine Gesundheit. Schnell drückt ihn die junge Bundesrepublik an ihre Brust – 1953, zwei Jahre vor seinem Tod, wird ihm der renommierte Siemens-Preis verliehen, „in Anerkennung seiner bahnbrechenden wissenschaftlichen und technischen Leistungen auf dem Gebiete der Metallurgie des Eisens“. Der Film zeigt als eines der letzten Bilder Röchling, der einst neben Adolf Hitler posierte, nun neben Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard.

 Klaus Schindler als Hermann Röchling in einer der Spielszenen.

Klaus Schindler als Hermann Röchling in einer der Spielszenen.

Foto: © SWR/Steven R. Altig/Steven R. Altig

Dienstag, 20.15 Uhr, Arte. Ab da auch in der Mediathek (bis 25. April). Außerdem Freitag, 9.30 Uhr, und Donnerstag, 4. April, 9.45 Uhr. Die ARD zeigt am 1. April um 23.30 Uhr eine 45-Minuten-Fassung.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort