Neue Musik Orpheus in der Unterwelt des Terrorismus

Saarbrücken · So politisch kann Neue Musik sein: Eine Begegnung mit dem Saarbrücker Komponisten Rolf Riehm.

 Komponist Rolf Riehm vor der Partitur seines Werkes „Die Tode des Orpheus“.  F

Komponist Rolf Riehm vor der Partitur seines Werkes „Die Tode des Orpheus“. F

Foto: Oliver Schwambach

„Immer wieder ein Abenteuer“, jubelt Rolf Riehm und stürmt zum Gespräch ins Foyer der Saarbrücker Congresshalle voran. Weißhaarig, doch immer noch jungenhaft schlaksig und seine 80 Lenze forschen Schrittes wegfedernd. Das Kinderstrahlen im Gesicht verjüngt ihn um weitere Jahrzehnte. Nein, man muss nicht eigens fragen: Die Deutsche Radio Philharmonie (DRP) macht ihm eine Riesenfreude mit der Uraufführung von „Die Tode des Orpheus“ (Kritik: siehe links). Dabei sind solche Premieren in eigener Sache für ihn, der über 25 Jahre als Kompositions-Professor an der Frankfurter Musikhochschule lehrte, quasi ja Alltag. Zählt er doch zu den Arrivierten unter den aktiven Tonsetzern. Im Mekka der Neutöner, in Donau-Eschingen, war Riehm früh schon ein Vielgespielter. Vielleicht gerade deshalb, weil er sich keiner Schule beugte und seine kraftvollen Werke aus dem Meer heutiger Klangneurotiker so vital herausragen. Nach wie vor fragen denn Ensembles bei ihm an, nach frischer Notenkunst. „Ich kann nicht klagen“, sagt Riehm. Bloß die Orchester seien zögerlicher. Weil in der Programmauswahl oft nicht die Musiker das Sagen hätten, sondern Manager und Rundfunkgewaltige, „die sich noch damit brüsten, dass sie keine Partitur lesen können“, meint Riehm. Und denen gilt zeitgenössische Musik halt meist als Kassengift.

Umso mehr freut es ihn, dass die DRP mit dem Kompositionsauftrag nun an eine Tradition ihres Vorgängerorchesters, des RSO Saarbrücken, anknüpft. In den 70ern und 80ern, als Hans Zender, der Komponist am Pult, Chef des RSO war (später übrigens auch ein Professorenkollege Riehms in Frankfurt), reiste Riehm oft der Neuen Musik wegen in seine Geburtsstadt Saarbrücken. Auch mit der späteren SR-Musikchefin Sabine Tomek blieb der  Kontakt rege. Und so ein Komponist vor Ort kann schließlich nur von Vorteil sein. Mit Hingabe begleitet Riehm die Geburt seines Werkes für Orchester und Countertenor. Drei Probentage war er hier. Zusammen mit seiner Frau. Zwei hochkonzentrierte Zuhörer in der Congresshalle. Wird der Komponist da zum strengen Beckmesser im Rücken von Dirigent Jonathan Stockhammer? „Das nun nicht“, antwortet er lachend. Er lasse den Dirigenten tun, was der zu tun habe. Aber ihm entgeht auch nichts: Ein falsches Fis in den Trompeten wird sofort als Fehldruck in den Notenblättern entlarvt.

Die „Tode des Orpheus“ ist ein ganz besonderes Werk für Rolf Riehm. Hat er es doch Countertenor Lawrence Zazzo direkt auf den Stimmapparat geschrieben. Vor drei Jahren kamen die beiden bei „Sirenen - Bilder des Begehrens und Vernichtens“ zusammen, einem Musiktheater Riehms für die Frankfurter Oper. Und der Komponist lernte den Amerikaner nicht nur als Sänger schätzen, der promovierte Musikwissenschaftler wurde für Riehm auch zum intellektuellen Sparringspartner. Der Wunsch auf „Weiteres“ folgte quasi zwangsläufig. Riehm ließ sich von „Lawry“ dessen Tessitura, seinen Stimmumfang, geben, um dem Counter von seinem baritonalen Fundament bis zu seinen höchsten Höhen etwas maßzukomponieren.

Dabei überrascht vielleicht wie tagesaktuell „Die Tode der Orpheus“ sind. Entführt der Titel doch ins Antikische. Wenn Riehm sich aber solcher Mythen annimmt, dann, weil er das „Modellhafte“ in ihnen schätzt. Von Orpheus, dem sagenhaften Sänger, der sogar das Meer beruhigen konnte, ist es für Riehm nur einen Gedankensprung zur Terrorismus-Wirklichkeit unserer Zeit. Man schaue etwa nur auf das Ende Orpheus’. Sein abgeschlagenes Haupt wurde an seine Lyra gebunden. Da sind die grausigen Internetbilder von IS-Morden vor laufender Kamera nicht mehr fern. Dezidiert heißt denn auch ein Kapitel seines Werks „die Zerstörung von Palmyra“. Musik eben nicht nur als künstlerischer Selbstzweck, sondern als Kommentar auch zur unserer Welt heute: Für Riehm ist das selbstverständliche Zeitgenossenschaft.

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