Oper Packend in jeder Beziehung

Saarbrücken · Die Opernklasse der Saarbrücker Musikhochschule überzeugt mit der fulminanten Britten-Oper „The rape of Lucretia“.

 Stimmlich wie darstellerisch überzeugend: v.l. Sophie Freund, Melina Meschkat, Natalie Jurk, Josefin Bölz.

Stimmlich wie darstellerisch überzeugend: v.l. Sophie Freund, Melina Meschkat, Natalie Jurk, Josefin Bölz.

Foto: Kerstin Krämer

„Es ist ein Grundsatz von Despoten, durch Kriege abzulenken von dem innern Übel.“ So heißt es in Ronald Duncans Libretto zu Benjamin Brittens 1946 uraufgeführter erster Kammeroper „The rape of Lucretia“ (Die Schändung Lukretias). Der Stoff geht auf Überlieferungen von Livius und Ovid zurück; die Handlung führt ins Rom des Jahres 500 vor Christus, wo die Römer unter dem Joch der etruskischen Königsherrschaft ächzen.

Die Etrusker, hier vertreten durch den verwöhnten und frauenverachtenden Despotensohn Prinz Tarquinius, stehen für Triebhaftigkeit und Zerstörung, die Römer für Sittlichkeit und Ehrgefühl. Um das Volk in Schach zu halten, schickt der Machthaber Tarquinius Superbus die Männer in einen Krieg gegen die Griechen. Doch im Feldlager bricht das „innere Übel“ auf und nimmt durch Ränke seinen Lauf – am Ende steht der Selbstmord einer vergewaltigten Frau, einer Ikone weiblicher Tugend, deren Suizid aus Propagandazwecken als Initialzündung zur Errichtung der römischen Republik benutzt wird.

Jetzt ist dieses hochdramatische und in jeder Beziehung packende Musiktheater in einer hervorragenden englischsprachigen Aufführung (mit Untertiteln) mit Studierenden der Hochschule für Musik Saar (HfM) zu erleben. Am Sonntag war Premiere in der Alten Evangelischen Kirche, dem Opernstudio der HfM – und man weiß nicht, was man bei dieser beeindruckenden,  umjubelten Ensembleleistung mehr feiern soll: Die fabelhafte Instruktion aller Mitwirkenden? Die ausnahmslos ausgezeichnete sängerische Performance sämtlicher Darsteller? Ihre Bühnenpräsenz und ihr schauspielerischer Ausdruck, der bis ins stumme Spiel mit detaillierter Nuancierung berührt? Die bannende Inszenierung (Thomas Max Meyer), die die shakespearesche Wucht des Geschehens herausarbeitet? Die Ausstattung (Renée Günther), die durch Reduktion den Fokus auf die Sänger lenkt und den zwanglosen Brückenschlag von der Vergangenheit zur Moderne schafft? Oder die wunderbare Dynamik des seitlich neben der Bühne postierten 13-köpfigen studentischen Kammer­orchesters, das unter der aufmerksamen Leitung von Christian Schüller alle Finessen der Komposition transparent zum Blühen bringt und die Sänger quasi trägt – bis ins Finale des zweiten Akts, wo sich der Traditionalist Britten musikalisch vor Henry Purcell verneigt?

Hier stimmt einfach alles. Inhaltlich evozieren die unglückseligen Verquickungen von Politik, Liebe, Leidenschaft und moralischer Korruption Parallelen mit Shakespeares „Othello“: Lucretia (Melina Meschkat), die uns unter Meyers Regie als technikbegeisterte junge Frau begegnet, deren Sehnsucht nach ihrem abwesenden Ehemann sich im Traum vom Fliegen artikuliert, gleicht der unschuldig ausgelieferten Desdemona. Den Part des intriganten Jago hat der gehörnte General Junius (Ing-Jie Wen), der aus persönlicher Kränkung wie aus politischen Motiven den heißblütigen Etrusker-Prinzen Tarquinius (Johannes Kruse) aufstachelt, Lucretia zu verführen – was wegen deren Widerstands zur Schändung führt. Dass Lucretias Gatte Collatinus (Gideon Henska) die Situation rational händelt, kann ihren Selbstmord zur Ehrenrettung allerdings nicht verhindern. Und das restliche Personal? Bewunderung beziehungsweise Abscheu für die Besatzer werden von Lucretias naiver junger Dienerin Lucia (Josefin Bölz) und ihrer klugen alten Amme Bianca (Natalie Jurk) repräsentiert. Sogar der Chor ist in seiner Erzählerrolle alles andere als neutral: Der männliche Teil (Taek-Sung Kwon) ist versehrt, der weibliche (Sophie Freund) lasziv – beide geben dem inneren Monolog der Protagonisten eine Stimme, provozieren und mischen mit. Unbedingt sehens- und hörenswert.

Termine: Heute, am Do und Sa, jeweils 19.30 Uhr, Alte Evangelische Kirche. Karten: www.ticket-regional.de

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