Stephan Hilperts Wettbewerbsdoku „Congo Calling“ Gordische Knoten made in Kongo

Saarbrücken · Ein Gespräch mit Regisseur Stephan Hilpert über seine vorzügliche Wettbewerbsdoku „Congo Calling“ und die Dreharbeiten.

  Screenshot aus „Calling Congo“: Anne-Laure beim Abendessen mit kongolesischen Freunden. Ganz rechts ihr Freund, Regimekritiker Fred Baum, neben ihm Luk Nkukula, der im Juni 2018 in Goma unter ungeklärten Umständen verbrannte.

Screenshot aus „Calling Congo“: Anne-Laure beim Abendessen mit kongolesischen Freunden. Ganz rechts ihr Freund, Regimekritiker Fred Baum, neben ihm Luk Nkukula, der im Juni 2018 in Goma unter ungeklärten Umständen verbrannte.

Foto: Daniel Samer/(c)Stephan Hilpert/Daniel Samer

In einer der Schlüsselszenen von Stephan Hilperts Doku „Calling Congo“ isst die Belgierin Anne-Laure mit kongolesischen Freunden zu Abend. Man diskutiert über die Rolle der NGOs im Kongo. „Wie viel vom Gesamtbudgets der NGOs kommt bei den Bedürftigen denn an?“, stellt Luk Nkukula irgendwann eine eher rhetorische Frage. Am Telefon in Berlin, von wo aus Stephan Hilpert gestern zur heutigen Ophüls-Uraufführung seines Films (20 Uhr im CS 5) aufbrach, erzählte der Regisseur gestern, dass Luk Nkukula, Mitbegründer der kongolesischen Jugendbewegung „La Lucha“, im vergangenen Juni in seinem Haus in Goma unter ungeklärten Umständen verbrannt ist. Im Ostkongo war Nkukula durch ein Foto berühmt geworden, dass ihn mit emporgestreckter Faust – umringt von Polizisten – 2016 auf einem Pick-Up zeigte. Ein ganz ähnliches Foto gab es 1959 von Nkukulas politischem Vorbild, Kongos späteren ersten Premier Patrice Lumumba (1925-1961), bei dessen Verhaftung als Wortführer der kongolesischen Unabhängigkeitsbewegung.

Seit Hilpert 2017 seine Dreharbeiten im Kongo beendete, ist der durch und durch korrupte, langjährige Präsident Kabila zwar abgetreten, an der staatlichen Vetternwirtschaft aber hat sich nichts geändert. Gerade erst sicherte sich Kabilas Nachfolger Félix Tshisekedi nach Berichten internationaler Beobachter nur mittels massiven Wahlbetrugs die Macht. Tatsächlich soll der angebliche Wahlverlierer Martin Fayulu 60 Prozent der Stimmen erhalten haben.

Hilperts „Congo Calling“ setzt 2015 mit der Landung des damaligen deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier im Kongo ein. Schnell streift eine für die nötige Folklore abkommandierte kongolesische Komparsen-Abordnung noch ihre Strohröcke über, damit man im deutschen Fernsehen auch sofort weiß: Wir sind in Afrika. Dann rühmt Steinmeier die mit deutschen Geldern ermöglichte Verlängerung der Landebahn in Kinshasa und wünscht dem östlichen Kongo eine gute Zukunft. Schnitt. Gleich darauf zeigt Hilperts Doku dann völlig zugedröhnte Kinder und Jugendliche, die den deutschen Entwicklungshelfer Peter Merten (66) umringen, während ein kongolesischer Sozialarbeiter Merten bittet, für sie ein Jugendhaus zu bauen. „Warum müssen die Kinder auf der Straße schlafen? Warum müssen sie leiden?“

Es ist eine typische Erfahrung von Entwicklungshelfern (wenn nicht von Weißen generell), die sich so wie Merten in der Fremde unters Volk begeben: Jeder will sofort etwas von ihm. Wer weiß ist, hat mehr als sie selbst. Und muss Kontakte haben. Dabei ist Merten  – dem Hilpert (38) bereits seinen 45-minütigen Abschlussfilm an der Münchner HHF widmete – für deutsche Verhältnisse selbst ein Gestrandeter. Seit Jahren lebt er ohne Krankenversicherung im Ostkongo. Die Miete für das Haus, in dem er lebt, hat er seit Monaten nicht bezahlt – später zeigt Hilperts Film dann Mertens Kapitulationserklärung: seinen Abflug nach Berlin, wo seine Frau längst schon wieder lebt. Und wo er, in Hartz IV abgerutscht, nun einen Bücherverleih für Obdachlose plant.

„Vielleicht ist die Arbeit hier eine Flucht vor gewissen Dingen“, sagt Raúl, einer der anderen beiden Porträtierten in Hilperts Film. Über ihn, mit dem er seit einem gemeinsam in Madrid verbrachten Studienjahr in Volkswirtschaft befreundet ist, kam Hilpert zu seinem Filmthema. 2015 begleitete er mit einem kleinen Filmteam Raúl, der seit Jahren im Kongo eine Art Feldforschung unter Rebellengruppen betreibt. Man blieb zwei Monate. Sammelte Filmmaterial, führte Interviews, suchte weitere Entwicklungshelfer. So kam als dritte Protagonistin die Belgierin Anna-Laure ins Spiel, die in Goma die Pressearbeit für das (politisch subversive) Amani-Musikfestival machte und gute Kontakte zu Oppositionellen hatte. Ihr im Film immer wieder auftauchender Freund Fred Bauma gehört zu den führenden Regimekritikern im Land und saß während Hilperts erster filmischer Stippvisite dort noch für 17 Monate im Gefängnis.

Erst nach und nach habe er sein filmisches Thema gefunden, erzählt Hilpert. Letztlich handelt „Congo Calling“ nicht nur davon, wie ausländische Entwicklungshelfer im Kongo, einer Hochburg internationaler Hilfsorganisationen, damit umgehen, dass die kulturellen Differenzen zu den Einheimischen kaum zu überwinden sind. Etwa, wenn Anne-Laure – wieder zurück in Brüssel – sich rückblickend fragt, „ob ich ein Leben lang mit Polizisten hätte streiten wollen, die mir 200 Francs klauen wollen? Hätte ich die Energie dafür?“ Hilperts Film, für den er „unglaublich viel Material gesammelt“ hat und anschließend „im Schnitt noch sehr, sehr lange daran herumbastelte“, erzählt nicht zuletzt von den ambivalenten Empfindungen seiner drei porträtierten Helfer. Den Grenzen, an die sie stoßen. Der Verantwortung, die auf ihnen lastet. Den schwindenden Perspektiven für sich selbst. Gerade das macht die Qualität der Doku aus. Er habe, sagt Hilpert, eine Weile gesucht, um drei so unterschiedliche Charaktere zu finden, wie Anne-Laure, Raúl und Peter es sind.

Als Filmemacher habe er diesen für sie alle drei kennzeichnenden doppelten Blickwinkel selbst ständig gespürt: „Zuhause sind wir arme Filmstudenten, im Kongo laufen wir als Privilegierte mit teuren Kameras herum.“ Eine eindeutige Haltung zur Rolle der NGOs habe man ihm immer abverlangen und wissen wollen, ob er nun für oder gegen sei, erzählt Hilpert. Tatsächlich aber sei alles, ob Machtverhältnisse, Opferrollen oder Projekt-Effizienzen, zu vielschichtig, um da einfache Antworten zu geben. Der im Film thematisierte Fall von Raúls kongolesischem Vertrauten Christian – er veruntreute Projektgelder und erwartet nun noch Mitleid – veranschaulicht einen heiklen Aspekt von Entwicklungshilfe: Bisweilen drohen Projekte auch an den mühsam akquirierten Beteiligten vor Ort zu scheitern, sofern diese der Versuchung erliegen, in die eigene Tasche zu wirtschaften.

Er hoffe, dass „Congo Calling“ nicht zu schnell einen ZDF-Sendeplatz im „Kleinen Fernsehspiel“ bekomme, weil nach einer TV-Ausstrahlung jede Festivalauswertung der Doku passé sei. Von der Bayerischen Filmförderung mit 35 000 Euro (und vom ZDF nochmal mit einer guten Schippe mehr) unterstützt, stecken vier Jahre in dieser Doku. Mit dem Drehen von Werbefilmen hat sich Hilpert zwischendurch über Wasser gehalten. In letzter Zeit habe er aber alle entsprechenden Angebote abgesagt, um „Congo Calling“ endlich zuendezubringen. Gegangen sei das nur, weil er in Berlin „kein teures Leben“ führe. Zur Uraufführung des Films heute Abend werden auch die drei Porträtierten von Hilperts Film mit ihm anreisen. Raúl, der inzwischen in Berkeley lehrt, kommt direkt aus Ruanda, von wo aus er immer noch Rebellengruppen im Kongo erforscht.

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