Neue Bücher Scherbenhaufen zwischen den Stühlen

Saarbrücken · Barbara Honigmann versucht in ihrem neuen Buch „Georg“, dem Leben ihres Vaters eine literarische Form zu geben.

 Barbara Honigmann (70), Ende Januar in ihrer Straßburger Wohnung aufgenommen.

Barbara Honigmann (70), Ende Januar in ihrer Straßburger Wohnung aufgenommen.

Foto: dpa/Violetta Kuhn

Gestern ist sie 70 Jahre alt geworden; in ihrem neuen, gerade erschienenen Erinnerungsbuch „Georg“ aber begegnen wir ihr selbst zumeist nur als Kind wieder. Barbara Honigmann zeichnet darin einmal mehr die Lebensgeschichte ihres Vaters, des jüdischen Journalisten Georg Honigmann, nach, die sie vor knapp 30 Jahren bereits in den Mittelpunkt ihres Buches „Eine Liebe aus Nichts“ (1991) gerückt hatte.

Als Schriftstellerin hat sich Honigmann seit ihren Anfängen immer wieder ihrer eigenen Familiengeschichte verschrieben und hat diese in mehreren Werken mehr oder weniger literarisch aufgearbeitet. 1949 in Ost-Berlin als einziges Kind eines jüdischen Ehepaars geboren, das die Nazi-Diktatur im britischen Exil überstand und nach deren Ende im deutschen Osten den Kommunismus mit aufzubauen half, erlebte und erlitt deren Tochter dort dann die Perfidie der kommunistischen Idee in Gestalt der DDR. 1984 siedelte Honigmann, längst des Sozialismus überdrüssig geworden, dann mit ihrer eigenen Familie nach Straßburg über, wo sie bis heute in einer von Frankreichs ältesten jüdischen Gemeinden lebt. Sie nannte ihren System- und Länderwechsel damals einen „dreifachen Todessprung ohne Netz: vom Osten in den Westen, von Deutschland nach Frankreich und aus der Assimilation mitten in das Thora-Judentum hinein“.

Dass man ihr neues Vater-Buch, auch wenn es, in weiten Teilen als anek­dotenreiche Beschreibungsprosa daherkommend, literarisch nicht viel zu bieten hat, mit einigem Gewinn liest, verdankt sich der darin ausgelegten, bemerkenswerten Biografie ihres Vaters. Dies nicht allein, weil „Georg“ Ende der 1940er die „Berliner Zeitung“ (und die Deutsche Nachrichtenagentur dpa) mit aufbaute und an der Seite seiner dritten Ehefrau, der DDR-Schauspielerin und Chansoneuse Gisela May, in den 50ern engen Kontakt zu bedeutenden Künstlern wie Kurt Weill oder Wolfgang Langhoff hatte. Sondern vor allem, weil sich in seinem Leben gleich mehrere Ideologien und Systeme auf sinnfällige Weise kreuzten und verdichteten. Wobei das Kennzeichnende seiner Biografie das war, was seine Tochter Barbara Honigmann ein „Zwischen-den-Stühlen-Sitzen“ nennt: Mit seiner jüdischen Herkunft blieb Georg Honigmann uneins; in seiner Wahlheimat England observierte ihn der britische Geheimdienst; den DDR-Staatssozialisten galt er als allzu bürgerlich und den dort überdauernden Ostdeutschen als linienuntreuer Bohémien. Nie und nirgendwo fand er damit eine Heimat – was das Unstete von Georgs Leben mit begünstigt haben dürfte. Vier Ehen, zahllose Affären und berufliche Neuorientierungen zuhauf waren Ausdruck eines von langen Depressionen, der ein oder anderen Hochstapelei und einiger Virilität geprägten, haltlosen Lebens. Ein Leben voller Widersprüche: Eigentlich ein Misanthrop, konnte Georg doch ein blendender Unterhalter sein. An Besitz lag ihm nichts, Maßanzüge und schnelle Autos aber liebte er.

Barbara Honigmanns literarische Wiederannäherung an ihren Vater setzt im Buch 1963 ein, als er kurz nach seinem 60. Geburtstag, gestrandet und zusammengesunken, auf seinem Bett im Berliner Vorort Hirschgarten sitzt. „Ein sechzigjähriger Mann in einem möblierten Zimmer.“ Nachdem die DDR-Kulturbürokratie ihn, der den Kommunismus zwar studiert, aber ideologisch nach eigenen Worten doch „über Herrmann Hesse nie hinausgekommen“ war, abserviert hat, steht Georg Honigmann wie so oft vor einem Scherbenhaufen. „Erzähl weiter, Pappi“, mit diesem leitmotivischen Appell hat ihn die Tochter auch damals angehalten, ihr sein Leben anzuvertrauen – ob seine Schulzeit in der (für ihre Reformpädagogik und später auch ihre sexuellen Übergriffe berühmten) Odenwaldschule, seine Promotion über Büchners sozialpolitische Ideen, seine journalistischen Anfängen bei der Vossischen Zeitung oder seine Zeit als Korrespondent in England. Er tat es nur kursorisch, entzog sich oft, überließ die einzige Tochter der Obhut einer Haushälterin – weshalb die Tochter sein Leben nun ein gutes halbes Jahrhundert später puzzleartig aus Erinnerungsschnipseln, Dokumenten (Briefen und Geheimdienstakten) und einigem Zeitkolorit zusammenzusetzen versucht. Sie tut es mit dem Ziel, die Bruchlinien dieses Lebens besser zu verstehen: Wieso Georg, kaum dass Nazi-Deutschland am Boden lag, umstandlos zurückkehren konnte. Weshalb er dort später die Augen verschloss vor den Gräueln, die im Namen des Sozialismus verübt wurden. Wieso er zeitlebens den Russen statt den Engländern zugetan blieb. Obwohl er und seine Frau Litzy (Barbara Honigmanns Mutter, deren Vita sie 2004 in „Ein Kapitel aus meinem Leben“ bilanzierte), wie die Tochter schreibt, für diese nur „winzige Schräubchen“ in „einem pharaonenhaften Machtgefüge“ blieben.

Honigmanns Buch fängt die ganze Tragik eines Jahrhundertlebens ein, hingezogen in die Wechselfälle der Vor-, Kriegs- und Nachkriegszeit. In der DDR wurden die heimgekehrten Emigranten mit Missgunst bedacht, während die Parteikader ihnen ihre innere Freiheit auszutreiben versuchten, wobei auch latenter Antisemitismus mitschwang. Sein reiches Journalisten- und Theater-Leben trug Georg später nie zusammen. Ihm lag nichts daran – umso mehr seiner Tochter. Unterm Strich ein Glück für uns, beschert es uns doch dieses berührende, aufschlussreiche Zeitdokument.

Barbara Honigmann: Georg. Hanser, 160 Seiten, 18 €.

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