Ophüls-Festival: 1. Doku-Wettbewerb Selbstfindungen in der Fremde – und in der Heimat

Saarbrücken · Ein Blick auf den morgen startenden, ersten Tag des Doku-Wettbewerbs beim Max-Ophüls-Festival, in dem noch nicht die besten zu sehen sein werden.

 Szene aus Lion Bischofs „Germania“ mit Brandl, Leiter des „Corps Germania“.

Szene aus Lion Bischofs „Germania“ mit Brandl, Leiter des „Corps Germania“.

Foto: Dino Osmanovic

Eine wohlkomponierte, gekonnt Bild und Ton verschränkende Doku ist Marita Stockers „Farewell Yellow Sea“ (Di: 19 Uhr, CS4; Mi: 13 Uhr: CS2; Fr: 22 Uhr, CS5; Sa: 10.15 Uhr, CS8). Einfühlsam und genau beobachtend, begleitet Stockers Film die junge Chinesin Quing (23) über drei Jahre hinweg während ihrer Altenpflegeausbildung in einer Kleinstadt im Schwarzwald. Er erzählt vom Verlassen ihrer Familie („Fleißig sollst du sein und abends nicht rausgehen“, gibt die Mutter ihrem einzigen Kind mit auf den Weg), der Ankunft in der irritierend aufgeräumten Fremde, Quings Sprachproblemen und ihrem Zusammenleben mit drei chinesischen Kolleginnen. Fängt die Mühsal im Pflegeheim, die Skypeanrufe nachhause, ihr Heimweh ein. Diskret, aber atmosphärisch dicht skizzieren Stocker und ihr Kameramann Mitja Hagelüken neben dem Pflegealltag Quings (und ihrer zarten Vertrautheit mit einem lebenslustigen 101-Jährigen) auch die Aufs und Abs ihrer Empfindungen.

Als sie nach 18 Monaten auf Heim­urlaub nach China reist, hält der Film diesen kostbaren Monat in 20 zu Herzen gehenden Minuten fest: das Essen in der Familie, die Fragen der Verwandten, der Plausch mit einer Freundin, der erneute Abschied. Am Ende der drei Jahre steht Quings Abschlussprüfung. Nähe und Distanz wohltuend mischend, fügt sich „Farewell Yellow Sea“ zum beeindruckenden, aufs Ganze gesehen aber eine Spur zu glatt wirkenden Porträt einer Selbstfindung in der Fremde.

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Noch eine zweite Doku führt (diesmal ausschließlich) nach Asien – in den Norden Thailands. Madeleine Dallmeyers „Dorf der Vergesslichen“ (Di: 19.45 Uhr, CS8; Mit: 15 Uhr, CS5; Do: 20.30 Uhr, CaZ 2; Fr: 10 Uhr, CS2) porträtiert das Leben in einem 14 Patienten beherbergenden Pflegeheim für Demenzkranke aus der Schweiz, dessen thailändische Pflegerinnen (bei einem unfassbaren Personalschlüssel von 1:1 – einer Pflegerin pro Patient pro Acht-Stunden-Schicht) derart liebevoll mit ihnen umgehen, dass es Familienangehörigen Demenzkranker hierzulande Tränen in die Augen treiben muss. Hand in Hand mit den Pflegerinnen laufen die alten Damen und Herren, einer kleinen Prozession gleich, jeden Tag durch die beschaulichen Dorfstraßen. Die Schwäche von Dallmeyers Film ist es, dass wir in diesen 90 Minuten zu oft dasselbe sehen: die bewunderswerte Anteilnahme der Pflegekräfte, die relative Zufriedenheit der hier von ihren Schweizer Angehörigen Einquartierten, die Auflockerung des Alltagstrotts durch Ausflüge und Feste. So tritt der Film nach einer Weile nurmehr auf der Stelle. Und verpasst die Chance, Nebensträngen nachzugehen und sich so zu weiten. Indem er mehr erzählte über die Leute aus dem Dorf – etwa den Dorfvorsteher, der in seinen per Megaphon übertragenen Ansprachen klarmacht, dass die Pflege thailändischer Traditionen einer Impfung gegen Globalisierung gleicht. Auch hätte man gerne mehr erfahren über die Finanzierung des Pflegeprojekts und die Frage geklärt, wieviele solcher Demenzstationen es in Südostasien gibt. Denn „zahlen für Pflege, das gibt es nur bei Ausländern“, sagt eine Thailänderin einmal.

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20 Minuten braucht Jasmin Preiß’ zu Beginn dramaturgisch wie thematisch auf ärgerliche Weise wirrer Film „Diese süße Wiese“ (Di: 17.45 Uhr, CS5; Mi: 22.30 Uhr, CS2; Do: 17.15 Uhr, FH; Fr: 19.30 Uhr, CS5), bis er sich endlich beruhigt und das Kameragezappele und Kombinieren banaler Szenen ein vorläufiges Ende hat. Auch dann dauert es noch eine Weile, ehe man peu à peu mehr erfährt über den von Preiß porträtierten Deutsch-Marokkaner Karim: tablettenabhängig, HIV-positiv, sich (auch äußerlich) ständig neu erfindend. Anfangs haust er in einer komplett zugemüllten Wohnung in Duisburg, begibt sich später in eine Entzugsklinik, um danach vergeblich einen Job zu suchen. Authentizität verwechselt Preiß mit Unschärfe und Sprunghaftigkeit. Als sei der Film nicht bereits Selbstdarstellungsbühne ihres nie seinen Lebensmut verlierenden Freundes genug, folgt Preiß dem selbst noch am Drehbuch mit beteiligten Karim auf seinem schleichenden Niedergang, der beide zuletzt nach Marakesch führt. Erst im Abspann erfahren wir von Karims Tod.

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Am nächsten Wochenende will der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck (inzwischen „Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung“ – kein Witz) sich auf dem Außerordentlichen Bundeskongress der Grünen zum neuen Ko-Vorsitzenden wählen lassen. Dass im Doku-Wettbewerb nun mit „Following Habeck“ (Di: 20 Uhr, CS5; Mi: 10.15 Uhr, CS3; Do: 15 Uhr, CS2; Sa: 17.30 Uhr, CS8) ein Porträt des Grünen-Politikers läuft, verleiht diesem ungeahnte Aktualität. Regisseur Malte Blockhaus heftete sich 18 Monate lang immer wieder an Habecks Fersen und zeichnet neben dessen politischen Alltag in Kiel (Medaillen-Verleihungen, Streitigkeiten mit Landwirten, Kabinettstrott und Interview-Statements am Fließband) vor allem dessen gescheiterten Versuch nach, im Vorfeld der Bundestagswahl als Spitzenkandidat der Bundes-Grünen zu kandidieren. Am Ende unterlag Habeck mit 75 Stimmen gegen Cem Özdemir. Heraus kommt nicht nur das Porträt eines äußerst sympathischen, aufrechten Politikers. „Following Habeck“ ist, wenngleich formal eher altbacken, auch ein Lehrstück über das Los heutiger Politiker: Deutlich wird, wie sehr es an Habeck zehrt, Klinken zu putzen und ständig im Rampenlicht zu stehen – als pars pro toto der heutigen politischen Kaste eine aufschlussreiche Doku.

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Man ahnt, wieviel Überzeugungsarbeit nötig gewesen sein muss, damit Lion Bischof von der schlagenden Münchner Studentenverbindung „Corps Germania“ die Genehmigung erhielt, deren Hackordnung und teils chauvinistische Traditionen einfangen zu dürfen: ihren zumeist reichlich banalen Alltag zwischen Leibesübungen und Fechtereien, endlosem Biere-Kippen und bizarren Convent-Sitzungen nebst Belehrungen durch den Dienstältesten, den nicht mal unsympathischen „Brandl“. Es hat sich gelohnt. „Germania“ (Di: 17.30 Uhr, CS8; Mi: 22.15 Uhr, Achteinhalb; Do: 20 Uhr, CS5; Fr: 12.30, CS2) gewährt aufschlussreiche Einblicke in eine jener Studentenverbindungen, die „als Kaderschmieden des politisch rechten Lagers gesehen werden müssen“, wie Bischof im Katalog zitiert wird. „Man reift hier zum richtigen Mann und wird in gewisser Weise auch dazu gezwungen“, beschreibt einer der Germania-Burschen das Männerbündische des Corps, in dem berufliche Netzwerke fürs Leben geschmiedet werden. Einer der „Jungfüchse“, die von den aufgestiegenen „Dreifarbigen“ nach Belieben eingespannt werden, bringt das autoritäre Grundmuster auf den Punkt: „Die meisten fühlen sich größer als sie sind.“

Lion Bischofs Film hält sich mit Urteilen zurück, lässt die Bilder und anzüglichen, derben Kommentare der Burschenschaftler für sich sprechen. Es geht ihm nicht darum, sie bloß vorzuführen. Gegen Ende allerdings geht dem bis dahin aus vielen Einzelszenen stringent komponierten Film etwas die Luft aus: Der Ausflug zu einem befreundeten Hamburger Corps, mit dem der ansonsten konsequent unter dem Dach der Münchner Heimstätte bleibende, bis dahin recht geschlossen wirkende  Film endet, dokumentiert im Wesentlichen nur noch ein Saufgelage.

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