Literatur Für alle, die den Sinn des Lebens nicht in der Elternschaft sehen

Berlin · Mutter werden oder nicht? Die kanadische Autorin Sheila Heti hat ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel „Mutterschaft“ zu diesem Thema geschrieben.

 Sheila Heti

Sheila Heti

Foto: Rowohlt/Verlag Rowohlt

„Es ist wie im Bürgerkrieg: Auf welcher Seite stehst du?“, heißt es in Sheila Hetis Buch „Mutterschaft“. Gemeint ist: Willst du Kinder oder nicht? Frauen müssen sich positionieren. Das erlebt jedenfalls die Protagonistin in dem teils autobiografischen Werk der 42 Jahre alten Kanadierin. Heti landete 2010 mit dem Selbstfindungsroman „How A Person Should Be“ (Deutsch: „Wie sollten wir sein?“, 2014) einen Hit und wird von der „New York Times“ zu den 15 einflussreichsten Autorinnen unserer Zeit gerechnet. Sie hat keine Kinder. Ihr neues Buch ist ein sehr persönliches geworden.

„Ich wollte in meinem Kopf und in meinem Computer haben, was die meisten Frauen denken: dass man eine Versagerin ist, wenn man kein Kind bekommt, und dass man es bereuen wird. Das ist der Ausgangspunkt meiner Erzählerin zu einer eigenständigen Position“, sagte Heti dem „Zeit“-Magazin.

Die Ich-Erzählerin ist Schriftstellerin und lebt mit ihrem Freund Miles in Toronto. Er ist Strafverteidiger und hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Die Entscheidung, ob er und die Protagonistin Kinder miteinander kriegen sollen, überlässt er ihr – aber sie müsse sich sicher sein. Die 37-Jährige, die anfängt, ein Buch darüber zu schreiben, ist sich überhaupt nicht sicher und klingt eher so, als wolle sie keine.

Auch Heti ist nicht verheiratet und lebt in Toronto mit einem Mann zusammen. Und klar: Auch sie ist Schriftstellerin. Die Grenzen zwischen Fiktion und Hetis Leben verschwimmen. Fakt ist, dass Heti sieben Jahre an dem Buch gearbeitet hat. Die Protagonistin schreibt es in drei Jahren – bis sie 40 ist und eine Entscheidung getroffen hat.

Um dahin zu kommen, lässt sie sich Karten legen, befragt ein obskures Würfelsystem, überlegt, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, beobachtet ihre Gefühlslage während der Phasen ihres Zyklus‘, aber vor allem spricht sie mit jedem, der ihr begegnet, über Kinder. Das ist oft witzig und manchmal traurig. Der Ton ist lakonisch. Eine Frau rät ihr, welche zu bekommen, sie sehe so „fruchtbar“ aus. Eine andere berichtet von einer Freundin, die kein Kind habe und behaupte, keines zu wollen, aber das könne doch nur an ihrem Mann liegen. Und eine schwangere Freundin schreit los, die Erzählerin solle nicht so viel arbeiten – mit ihrem „schwangerschaftsbedingten Erbsenhirn“ fühle sie sich schon jetzt im Hintertreffen. Bald beschreibt Miles das Muttersein als ein „Handikap“, von dem sich die Freundinnen der Erzählerin wünschten, sie hätte es auch. Das Elternsein nennt er „den größten Schwindel aller Zeiten“. Vielleicht ist Kinder zu haben gar nicht für jeden so toll. Und vielleicht muss man es nicht zwangsläufig wollen. Die Erzählerin sinniert, ob man „Keine Kinder wollen“ nicht als eine Art neue sexuelle Orientierung sehen könne?

Spätestens seit der Studie der Soziologin Orna Donath „Regretting Motherhood“ (2015) sind die negativen Seiten des Elternseins zum öffentlichen Thema geworden. Sie auszusprechen gilt trotzdem oft noch als Tabu. Wie viel Druck auf einer Mutterschaft lastet, hat jüngst erst wieder die Autorin Antonia Baum in „Stillleben“ beschrieben.

Konventionen werden in „Mutterschaft“ immer wieder hinterfragt. „Wir schätzen das Kriegführen und Menschenbeherrschen auf die gleiche Weise, wie wir die Mutter anbeten“, sagt Miles einmal. Das Paar fragt sich, wieso man sein Leben auf einen Menschen ausrichten soll, wenn man stattdessen hunderten helfen könnte. Ist es nicht egoistisch, unbedingt einen Teil von sich in der Welt hinterlassen zu wollen?

Auch ihre jüdischen Wurzeln überzeugen die Erzählerin nicht, hatte man ihr doch eingeschärft, nach dem Holocaust müssten gerade Juden sich fortpflanzen. Aber könnte man es aus Protest gegen die Gräueltaten der Menschheit nicht auch mal 100 Jahre sein lassen? Bei all dem bewertet Heti, deren Großmutter ebenfalls Auschwitz überlebt hat, nicht. Klug arbeitet sie heraus, dass jeder die Antwort für sich finden müsse – und das bedeute, niemals andere Meinungen abzuwerten.

Am Eindrücklichsten ist das Buch, wenn es beschreibt, wie viel Druck auf Frauen lastet, sich zu entscheiden. Immer gibt es die Angst, später vielleicht etwas zu bereuen. Denn ob Kinder das Richtige sind, weiß man erst, wenn man sie hat. „Mutterschaft“ bricht eine Lanze für alle, die keine Kinder wollen oder haben und keine Lust mehr haben, sich immer erklären zu müssen. Miles sagt: „Eine Frau, die kein Kind hat, wird mit der gleichen Vorwurfshaltung bedacht wie ein erwachsener Mann, der keine Arbeit hat. Als müsse sie sich für irgendwas entschuldigen.“

Sheila Heti: Mutterschaft. Rowohlt, 320 Seiten, 22 Euro.

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