Theater-Festival Primeurs Von Glückssuchern und Amokläufern

Saarbrücken · Die elfte Ausgabe der „Primeurs“, dem Saarbrücker Festival für frankophone Gegenwartsdramatik, begeisterte durch neue Frische.

 Anne Rieckhof (links), Thorsten Loeb und Gabriela Krestan in „Die 24 Stunden der Tina Pools auf der Suche nach dem Glück“ von Marie Henry.

Anne Rieckhof (links), Thorsten Loeb und Gabriela Krestan in „Die 24 Stunden der Tina Pools auf der Suche nach dem Glück“ von Marie Henry.

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Wenn Thomas Loeb in der Alten Feuerwache plötzlich zu Boden geht und zum Hund mutiert, der alle Viere von sich gestreckt und mit schlabbernder Zunge hechelt, als ob er gleich verreckt, dann haben wir es. Dann haben wir für einen Moment genau das gefunden, was Tina in Marie Henrys „Die 24 Stunden der Tina Pools auf der Suche nach ihrem Glück“ versagt blieb. Solche Momente des Theaterglücks gab es am Samstag, beim letzten Abend des Festivals „Primeurs“ für frankophone Gegenwartsdramatik, mehrfach und oft sogar anhaltend.

Das lag oft jedoch weniger an den neuen französischen Theaterstücken, die hier erstmals in deutscher Sprache vorgestellt wurden. Sondern vor allem an den Regieteams und Schauspielern des neuen Staatstheater-Ensembles, die sie in Werkstattinszenierungen zum Leben erweckten. So gutes Sprechen, so viel Präsenz, Hingabe, Spielfreude und Ideenreichtum bei der Umsetzung der Texte, so viel Unverkrampftheit bei der finalen Preisverleihung mit Sekt und Konfetti. Das verlieh den „Primeurs“ bei ihrer nunmehr elften Ausgabe eine ganz neue Frische.

Um Glückssuche ging es am Samstag in der Alten Feuerwache, die gut und von auffallend vielen jungen Leuten besucht war, nur im dritten und letzten Stück des Abends. Was jene titelgebende Tina alles an sich bemängelt, sich bemitleidet, andere beneidet, hat gerade in seiner Banalität hohen Wiedererkennungswert und ist umwerfend komisch. Dass es als Groteske (in der gelungen Regie von Julia Prechsl) aber ein Genuss wurde, liegt an der trockenen Situationskomik, mit der Thomas Loeb, Anne Rieckhoff und Gabriela Krestan, die sich alle Rollen teilten, die Textfläche von Autorin Henry ausschmückten.

Die gleiche neurotische Hektik wie hier herrschte auch in der Groteske „Insides Georges“ von Emmanuelle Destremeau in der glänzenden Regie von Sébastien Jacobi. Sie führt in den Großraumbüroalltag des „Debitoren-Managements“, wo Angestellte nach dem Motto: „Wie macht man Obdachlose? Indem man Leuten Kredite aufdrängt, die sie nicht zurückzahlen können“ arbeiten, bis sie vom Sozialplan kalt erwischt werden. Unter den Kollegen, mehr Typen als Charaktere, gilt Georges (Georg Trakis) als Looser. In seiner Wohnung, originell halb als Bruchbuden-Filmprojektion, halb als Live-Projektion eingespielt, will er daher seinen Zehnjährigen mit Training in Faustkampf, Sachbeschädigung und Denunziation für ein Leben im Kapitalismus stählen. Der Sohn, so zeigt sich am Ende, akkumulierte nur Vaters Frust und der entlädt sich schließlich in einem Selbstmordattentat mit Sprengstoffgürtel. Gab es diesen Sohn überhaupt, oder war er nur das „innere Kind“ von Georges? Bewusst, sagt die Autorin im Publikumsgespräch, habe sie das und anderes in der Schwebe lassen wollen.

Von Tod und Terrorismus handelte auch das nachfolgende Stück „Auf der Insel“ mit zwei Geschwistern. Der Bruder, der das Massaker des Rechts-Terroristen Breivik auf der norwegischen Insel überlebte, und seine Schwester, die es ins Jenseits beförderte, gehen in einem Gespräch immer wieder das traumatische Geschehen durch, um es zu begreifen. Doch Autor Camille de Toledo geht es nicht nur um Trauerarbeit, er denkt auch über die politische Zukunft Europas nach, leider. In der lässt er Breivik, kaum entlassen, als EU-Politiker reüssieren. De Toledos bisweilen verkürzter Argumentation, die er hinterher erläutert, will man nicht immer folgen. Vor allem aber überfrachten sie das Stück, das erste des Wahlberliners, der sonst unter anderem politische Essays schreibt.

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