Orwell-Premiere in Sparte 4 Was uns staatsmännische Schweine lehren

Saarbrücken · In der Sparte 4 des Saarländischen Staatstheaters gelingt Regisseur Krzystof Minkowski eine sehr sehenswerte Bühnenfassung von Orwells „Farm der Tiere“ – auch dank eines vorzüglichen Ensembles.

 Drei Schauspieler (Marcel Bausch, Anna Rieckhof und Barbara Krzoska) in gleich 24 Rollen in Hochform: Die Saarbrücker Bühnenversion von George Orwells „Farm der Tiere“ geriet zum darstellerischen Glanzstück.

Drei Schauspieler (Marcel Bausch, Anna Rieckhof und Barbara Krzoska) in gleich 24 Rollen in Hochform: Die Saarbrücker Bühnenversion von George Orwells „Farm der Tiere“ geriet zum darstellerischen Glanzstück.

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Die Chance, George Orwells 1943 erschienene bitterböse Romansatire „Farm der Tiere“ (ein klassischer Lesestoff in Schulen) auf unser Hier und Heute zu beziehen – diese Chance haben sie sich in der Sparte 4, wo die Bühnenfassung am Freitagabend Premiere hatte, nicht entgehen lassen. Regisseur Krzystof Minkowski, das wurde sehr schnell deutlich, begreift Orwells Tierfabel als zeitgemäße Parabel, die uns die Folgen eines Aufgebens gelebter Volkssouveränität vor Augen führt. Nach dem Motto: Wenn wir uns nur immer weiter bequem zurücklehnen, können wir uns eines Tages vielleicht nur noch etwas auf unsere Konsumentenfreiheit einbilden. Während das Regieren sich womöglich vollends verselbständigt hat.

Orwell entwarf seinen Plot seinerzeit unter dem Eindruck des stalinistischen Totalitarismus: Die Tiere eines Bauernhofs revoltieren gegen einen sie nach Strich und Faden ausbeutenden Großbauern. Bald übernehmen die klügsten Tiere, die Schweine, die Führung auf dem Hof, um gegenüber den übrigen Tieren dann jedoch exakt dieselben Unterdrückungsmethoden anzuwenden wie der vertriebene Mr. Jones. Das Ideal gelebter Gleichheit, das den Aufstand aller Vierbeiner befeuert hatte, wird von den Schweinen im Dienst des eigenen Machterhalts auf perfide Weise geopfert: Die Revolution frisst ihre Kinder und gebiert nur neue staatsmännische Schweine – gab uns Orwell mit auf den Weg.

Minkowskis Saarbrücker Version nimmt den Zynismus der Vorlage dankbar auf und reichert ihn, dank eines exzellent agierenden Ensembles (Anna Rieckhof, Barbara Krzoska und Marcel Bausch, die im Handumdrehen in immer neue Tier- und Erzählerrollen schlüpfen), mit reichlich Situationskomik auf. Wobei der Abend nie Gefahr läuft, in Klamauk zu kippen. Schon deshalb nicht, weil die Regie nicht den Fehler begeht, die drei zweibeinigen Vierbeiner kostümmäßig mit Tierattributen von uns wegzurücken. Nein, man trägt Anzug und Kostüm (Bühnenbild und Kostüme: Konrad Schaller). Genausowenig wird eine Stallkulisse arrangiert, sondern mit zwei, drei Requisiten (Drucker, Aktenordner und Fleischerei-Lamellen) ein bürokratisches Setting. Desgleichen beflügelt das lautmalerische Wiehern und Schnauben zwischendurch auf der Bühne eher den anarchischen Humor, der Minkowskis Illusionszertrümmerung unserer demokratischen Behaglichkeit den nötigen Schwung gibt. Sollte irgendwann doch jedem klarwerden, dass da vorne ein Stück weit auch unser eigenes Los verhandelt wird.

Mit welcher Spiellaune Rieckhof, Krzoska und Bausch mal die tumben Untertanen (gackernde Hühner oder einfältige Kühe) markieren, um im nächsten Augenblick als Erzähler den Handlungsfortgang zu schildern, ehe sie wieder als abgeklärtes Schweine-Triumvirat reüssieren – schon das ist den Abend wert. Dabei kommen die neuen, schweinischen Regenten (unterlegt von Micha Kaplans treibenden Sounds) wie Wiedergänger heutiger Politiker daher. So anspielungsreich und nuanciert, wie es das Ensemble dabei versteht, mimisch wie gestisch auf der Klaviatur der Macht zu spielen, denkt man sich: Das kennen wir doch.

Der Abend nimmt den bei Orwell vorgezeichneten Verlauf schleichenden Demokratieabbaus: Kaum haben sich die Schweine zu Anführern aufgeschwungen, sind sie mittels Denunziation, Intrigen und Täuschungsmanövern nurmehr auf die Zementierung ihrer Macht aus. Die Naivität der übrigen Tiere spielt ihnen dabei in die Hände. Je willfähriger diese sich fügen, umso mehr setzen die Schweine auf die vernebelnde Wirkung von Illusionen und Drohkulissen („Es wünscht sich doch bestimmt keiner von euch Mr. Jones zurück?“). Wo dies nicht genügt, schaffen diktatorisch erlassene Dekrete (oder Exekutionen) vollendete Tatsachen. „Der Fehler muss irgendwo bei uns selbst liegen“, dämmert es zuletzt dem selbstlos rackernden Pferd Boxer. Marcel Bausch, dessen letzte Schauspielpremiere dieser Orwell-Abend war (er verabschiedet sich im Sommer in den Ruhestand), spielt den von Ober-Schwein Napoleon zuletzt aus dem Weg geräumten Boxer mit einer liebenswert einfältigen Unschuld, die uns warnen soll. Verwechselt das tapfere Tragen eurer Schicksale nicht mit demokratischer Einmischung!

Als das Lehrstück nach 90 Minuten vorbei war, gab es heftigen Beifall für alle Beteiligten und für Marcel Bausch einen Blumenstrauß.

 Am Ende des Stücks gab es für Staatsschauspieler Marcel Bausch einen Blumenstrauß: Es war seine letzte Premiere, er hört Ende der Spielzeit auf.

Am Ende des Stücks gab es für Staatsschauspieler Marcel Bausch einen Blumenstrauß: Es war seine letzte Premiere, er hört Ende der Spielzeit auf.

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Nächste Vorstellungen: 15., 16., 17., 21., 23. März. Karten: (0681) 30 92 486.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort