Berliner Theatertreffen Willkommen im Königreich der Beliebigkeit

Berlin · Trump auf dem Theater: Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ gilt als Stück der Stunde – Falk Richters beim Berliner Theatertreffen zu sehende Version zeigt weshalb.

 Wenn ich will, lass’ ich die Luft aus der Welt: Benny Claessens als trumpartiger König von der fürchterlich-infantilen Gestalt in „Am Königsweg“.

Wenn ich will, lass’ ich die Luft aus der Welt: Benny Claessens als trumpartiger König von der fürchterlich-infantilen Gestalt in „Am Königsweg“.

Foto: Arno Declair

Alle haben auf ein Trump-Stück gewartet, Elfriede Jelinek hat es geliefert. Bereits im letzten Spätherbst im Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt, hat sich Falk Richters Jelinek-Bühnenfassung nun gleich zweifach für die Theater-Championsleague qualifiziert. Nicht nur zu den Mülheimer Theatertagen, sondern auch zum Berliner Theatertreffen wurde „Am Königsweg“ begierig eingeladen. Offenbar ist Jelineks Trump-Abrechnung derzeit tatsächlich das, was man „das Stück der Stunde“ nennt.

Dabei kommt Trump darin selbst gar nicht vor. Zum Glück. Nobelpreisträgerin Jelinek und ihr Interpret Richter begehen nicht den Fehler, den US-Präsidenten zur Schießbudenfigur zu machen, damit wir uns wieder als umso bessere Menschen fühlen können. Nicht zuletzt das macht die Qualität dieses dreieinhalbstündigen Selbstgewissheitszertrümmerungsabends aus: Er macht klar, dass Trump ein Ebenbild unserer Zeit ist und die Verhältnisse ohne ihn nicht viel besser wären. Jelinek rechnet mit uns genauso ab wie mit dem US-Kaspar, der bei ihr als ebenso unzurechnungsfähiger wie diabolischer König umherstreift und greint. Benny Claessens gibt ihn als infantilen Despoten und zieht dabei alle Register omnipräsenter Bühnenkunst. Seine uns den Spiegel gesellschaftlicher Verkommenheit vorhaltenden furienhaften Ausfälle sagen nur eines: „Unter Blinden kann kein Blinder König sein“, wie es einmal heißt. Dass er’s dennoch ist, beweist in der Lesart Jelineks nur, wie sehr er Unsergleichen ist.

Regisseur Falk Richter macht aus ihrer Stückvorlage ein einziges großes, trashhaftes Sinnes-Bombardement: Den ganzen Abend laufen, als krudes, twittergestütztes Bilderalbum zivilisatorischer Verkommenheit, auf einer Großleinwand wild zusammenmontierte Videos. Dazu fährt Richter von Miss Piggy über Kermit bis zu den beiden Logen-Defätisten Waldorf & Statler die halbe Muppet-Show-Besatzung in überdimensionaler Größe auf und lässt Claessens alias Trump dazu die alte Bee Gees-Nummer „I started a joke (which started the whole world crying)“ singen oder ihn chaplin-like mit einer aufgeblasenen Weltkugel herumspielen. So viel Häme dürfte lange nicht mehr vor uns über uns ausgeschüttet worden sein.

Die ohnmächtige Besinnungslosigkeit, die Jelinek in Anlehnung auf Sophokles metaphorisch mit Blindwütigkeit kurzschließt (und sich dabei als Autorin selbst die von Ilse Ritter glänzend verkörperte, gebrochene Rolle des blinden Sehers Teiresias auf den Leib schreibt), dient Falk Richter als roter Inszenierungsfaden. Was dessen 210-minütiger, berserkerhafter Bühnen-Overkill, den das Hamburger Ensemble kongenial darbietet, uns sagen will? Dass wir vor lauter Bäumen heute keinen Wald mehr sehen. Richter (und die ihn visuell nach Kräften munitionierende Bühnenbildnerin Katrin Hoffmann) dröhnt uns mit derart vielen Regieeinfällen und staccatohaften Szenenbrüchen zu, dass daraus ein getreuliches Abbild unserer tagtäglichen (Selbst-)Überflutung wird. Wir gehen weniger an Trump als an totaler Beliebigkeit zugrunde. Auch die Intellektuellen sind längst nurmehr Abziehbilder ihrer selbst – so jämmerlich, wie sie uns hier erscheinen. Damit nicht genug, rammt der Abend in Gestalt der türkischen Internet-Comedian Idil Baydar eine prollhafte Figur auf die Bühne, die uns, als erlebten wir unser AfD-Blaues-Wunder auf der politisch Linken, den Rassismusspiegel vorhält.

Nimmt man alles zusammen, taugt „Am Königsweg“ bei allen Überdrehtheiten und sprachakrobatischen Finessen à la Jelinek als Beweis dafür, dass wir uns nicht erst seit Trump auf dem Holzweg befinden. Der Zynismus des Stücks ist lehrreich: Wenn zwei schwäbelnde Deutsche Banker uns eröffnen, dass sie uns dabei helfen, „erst mal Schulden zu machen“, sind die Verhältnisse erschöpfend klargestellt: Solange das Geld regiert, dürfen wir uns sonstwie abreagieren. Und der Neue auf dem Thron? Ist letztlich nur die Wiederkehr des Alten. „Wir haben ausgewortet“, sagt Jelineks Alter Ego zuletzt. Und dass „auch die Nobelpreisträgerin“ keine Antworten hat. Immerhin aber hat sie (und diese Inszenierung) genüsslich den Finger in die Wunden unserer Spaß- und Verblödungskultur gebohrt.

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