33. Jazzfestival St. Ingbert Elfen, Gnome, Herzschrittmacher

St. · Beim Jazzfestival St. Ingbert haben am Wochenende die beiden regional verwurzelten Formationen die originellsten Beiträge abgeliefert: „Trallskogen“ und „Ätna“.

  „Trallskogen“ mit Gitarrist Hannes Gajowski, Sängerin Annika Jonsson und Schlagzeuger Kevin Naßhan.

„Trallskogen“ mit Gitarrist Hannes Gajowski, Sängerin Annika Jonsson und Schlagzeuger Kevin Naßhan.

Foto: Kerstin Krämer

  „Die meisten Jungfrauen wollen keinen Troll heiraten.“ Annika Jonsson weiß es genau, schließlich hat sie sich ausführlich mit Elfen und Gnomen beschäftigt. Von den Naturgeistern, die sich in den skandinavischen Wäldern herum treiben, fabuliert sie so trollig, pardon: drollig und treuherzig, als ob sie das alles tatsächlich glaube. Dabei wirkt die deutsch-schwedische Sängerin selbst wie eines ihrer Märchenwesen – verträumt und ein wenig aus der Welt gefallen. Am Freitag eröffnete die Wahl-Saarbrückerin mit ihrer Band „Trallskogen“ den ersten der beiden Haupttage des 33. Internationalen Jazzfestivals St. Ingbert. Gleich vorweg: Dass mit „Trallskogen“ und „Ätna“, dem Duo mit der aus dem Saarland stammenden Sängerin Inéz Schäfer, ausgerechnet die beiden regional verwurzelten Formationen die originellsten Beiträge ablieferten, spricht für das kreative Potenzial der hiesigen Szene – fein, dass die hier erneut ein Forum bekam.

Andererseits zeugt die Verpflichtung derlei alternativer Ensembles vom Mut des Veranstalters, das Publikum, das in den vergangenen Jahren gern mit Breitentauglichem versorgt wurde, mit Unkonventionellem zu konfrontieren. Wenn das darauf so aufgeschlossen und wohlwollend reagiert wie an diesem Wochenende in der gut besuchten Stadthalle – umso erfreulicher!

Zurück zu „Trallskogen“: Mit eigenen Songs führt Jonsson die schwedische Tradition des Trall-Gesangs, der in seinen textlosen Passagen dem Jazz-typischen Scat ähnelt, in die Gegenwart. Die Band um Schlagzeug-Crack Kevin Naßhan bettet diese Hommage an die schwedische Mythologie in einen Ensemblesound zwischen Folklore, Pop und Jazz, gekennzeichnet von diversen Rhythmuswechseln. Mal tönt‘s dank Bogen-gestrichenem Kontrabass (Felix Hubert) sphärisch; dann wieder folgen auf lyrische Momente rockige Takte mit schweren Grooves. Markante Akzente steuerten Pianist Eduard Stoppel (Flügel, Stagepiano) und E-Gitarrist Hannes Gajowski bei, der kurzfristig für den unlängst tragisch verstorbenen Steffen Lang einsprang und diese schwierige Aufgabe bravourös meisterte. Über allem schwebte der mädchenhafte, anrührend unforcierte Sopran Jonssons, die dank Loop-Gerät im polyphonen Chor mit sich selber sang und bei der fröhlichen Zugabe richtig Gas gab.

Schier fassungslos machte einen danach der Auftritt des russischen Igor Butman-Quintetts. Dass der vom amerikanischen Ex-Präsidenten Bill Clinton als „bester lebender Saxofonist“ gefeierte Butman (Tenorsax) ein mit allen stilistischen Wassern gewaschener Ausnahme-Techniker und berechnend expressiver Berserker ist, war zu erwarten. Geradezu erschreckend jedoch die kaltschnäuzige Virtuosität seiner (mit Ausnahme des Schlagzeugers blutjungen) Mitmusiker: Die agierten so abgebrüht brillant, dass man sich unweigerlich fragte, in welchem Reagenzglas sie wohl gezüchtet und in welcher Kaderschmiede sie 24 Stunden am Tag gedrillt wurden. Bei diesem glanzpolierten Hochleistungssport im Spannungsfeld zwischen Modern Jazz und Fusion stellte jeder seine klassische Ausbildung heraus und schmiss mit musikalischen Zitaten nur so um sich.

Frenetische Ovationen erntete insbesondere der blinde Pianist Oleg Akkuratov, der (Nomen est Omen) nicht nur faszinierend kristallin Perlendes aus den Tasten heraus meißelte, sondern einen auch mit seinem kraftvollen Gesang umhaute. Was hier bei allem akrobatischen Kalkül leider oft auf der Strecke blieb, war der Ausdruck.

Wuchtig, jedoch in ganz anderer Hinsicht, war auch der Auftakt des Samstags, der sich ebenfalls als Abend extremer Kontraste entpuppte. Kaum zu glauben, dass dieser bombastisch aufgeblasene Breitwandsound von nur zwei Personen generiert wurde: „Ätna“ alias Inéz Schäfer (abstrakt Effekt-verfremdeter Gesang, Keyboard, definierte Bühnenpräsenz) und Demian Kappenstein (Schlagzeug, Percussion) entfachten mittels programmierter elektronischer Helferlein, Stimmgewalt und treibender Beats einen gewaltigen hypnotischen Sog. Bei dieser eigenwilligen, elegisch bis brachialen Symbiose aus Elektro-Pop, Triphop und Alternative ließ basslastiges Wummern den Boden mitunter derart beben, dass Trommelfelle beleidigt reagierten und Herzschrittmacher auszusetzen drohten.

 Inéz Schäfer vom Duo „Ätna“.

Inéz Schäfer vom Duo „Ätna“.

Foto: Kerstin Krämer

Der abschließende feurige Kehraus geriet dann so temperamentvoll und, trotz gelegentlich aufflammender Melancholie, ausgelassen wie erwartet: Das Septett „Son del Nene“ um Sänger Pedro Lugo Martinez, Sideman des berühmten Ibrahim Ferrer (Buena Vista Social Club), entfachte ein afrokubanisches Feuerwerk mitreißender Lebensfreude. Die authentischen Ingredienzen: vertrackte Rhythmen, fulminante Percussion, eine gern zu tief intonierte gleißende Trompete, fingerflinke Gitarrensoli und beseelter Gesang. Bei dieser schwülen Schwof-Party mit Bolero und ChaChaCha ließ sogar Oberbürgermeister Hans Wagner enthemmt die Hüften kreisen. Und als schließlich ein kesses Damen-Salsa-Grüppchen die Bühne enterte, flogen die Handtaschen.

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