Nach dem Brand von Notre-Dame Wie eine Katastrophe die Franzosen eint

Paris · Nach dem verheerenden Feuer in der Kathedrale Notre-Dame werden die Schäden begutachtet. Die Kirche wird wieder aufgebaut – innerhalb von fünf Jahren, verspricht Präsident Macron.

 Der Morgen nach dem desaströsen Brand: Feuerwehrleute und Spezialisten inspizieren das Dach der Kathedrale Notre-Dame.

Der Morgen nach dem desaströsen Brand: Feuerwehrleute und Spezialisten inspizieren das Dach der Kathedrale Notre-Dame.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Die beiden Feuerwehrmänner wollen nichts sagen. Seit Stunden sind sie im Einsatz, müde winken sie ab. Die Helme unter dem Arm schleppen sie sich abgekämpft über den mit schwarzer Asche bedeckten Vorplatz von Notre-Dame zum Einsatzwagen, nehmen einen Schluck aus der Wasserflasche, setzen sich erschöpft in das Fahrzeug, die Augen geschlossen, die Hände wie zum Beten gefaltet. Noch vor wenigen Minuten standen die Männer auf dem rechten der fast 70 Meter hohen Türme der Kathedrale. Ihre Aufgabe: die Schäden einzuschätzen, die das verheerende Feuer in der Nacht hinterlassen hat. Doch es ist noch zu früh, um Genaues zu sagen. Fest steht nur, dass der Brand in den frühen Morgenstunden gelöscht werden und die größte Katastrophe abgewendet werden konnte. Die beiden Türme stehen noch, die tonnenschweren Glocken sind nicht in die Tiefe gestürzt.

Gegen sieben Uhr am Vorabend schlagen die ersten Flammen aus dem Dach der Kathedrale von Notre-Dame im Herzen von Paris. In dem über 800 Jahre alten trockenen Gebälk greift das Feuer rasend schnell um sich. Innerhalb von Minuten brennen rund 1000 Quadratmeter Dachfläche. Eine mehrere hundert Meter hohe Rauchsäule steigt in den wolkenlosen Himmel der französischen Hauptstadt. Auf den Brücken über der Seine rund um die Insel Île de la Cité sammeln sich Zehntausende Schaulustige, die das Feuer aus der Entfernung beobachten. In den Gesichtern der meisten Menschen ist schieres Entsetzen zu lesen. Als die Spitze des Daches in sich zusammensackt und Teile des Daches nach unten ins Kirchenschiff fallen, fahren Flammen und Funken hoch in den Himmel. Menschen schreien, andere beginnen laut zu beten, eine Gruppe singt das Ave Maria, die meisten starren fassungslos in das Inferno.

Am Morgen danach steht Gabriel Plus, Sprecher der Feuerwehr, betont ruhig auf dem Vorplatz der Kathedrale. „Das ganze Feuer ist aus“, sagt er. Nun beginne die Phase der Begutachtung. Man habe die ganze Nacht über sichergestellt, dass das Feuer nicht wieder ausbreche und die gesamten Gebäudestrukturen überwacht. „Man kann annehmen, dass die Struktur von Notre-Dame gerettet und in ihrer Gesamtheit bewahrt ist“, ergänzt Feuerwehrchef Jean-Claude Gallet. Dies soll nun auch mit Lasertechnik untersucht werden. „Zwei Drittel des Dachstuhls wurden verwüstet“, fügt er jedoch hinzu. Bei dem Brand seien nach ersten Erkenntnissen drei Menschen leicht verletzt worden. Dabei handele es sich um zwei Polizisten und einen Feuerwehrmann.

Die Einsatzkräfte geben sich zurückhaltend, zeigen aber wenig Verständnis für die guten Ratschläge, die ihnen noch in der Nacht aus aller Welt entgegenschlugen, wie das lodernde Feuer am besten zu bekämpfen sei. Immer wieder kam etwa der Vorwurf, warum keine Löschflugzeuge eingesetzt worden seien. „Bei einem solchen Feuer entstehen Temperaturen von bis zu 1000 Grad Celsius“, erklärt ein Feuerwehrmann am Morgen nach dem elfstündigen Einsatz von über 800 Leuten. Man müsse in solchen Fällen ganz vorsichtig von außen löschen. Irgendwann sei es in der Nacht vor allem darum gegangen, die umliegenden Bauteile zu schützen und das Ausbreiten des Brandes auf die beiden Türme zu verhindern.

Gerätselt wird am Morgen nach dem Feuer weiter über die Ursache. Von Seiten der Staatsanwaltschaft in Paris heißt es, dass eine Untersuchung wegen unbeabsichtigter Zerstörung durch Feuer eingeleitet worden sei. Von Brandstiftung ist bislang nicht die Rede. Die meisten Vermutungen gehen in die Richtung, dass das Feuer mit den Renovierungsarbeiten auf dem Dach der Kathedrale zusammenhängt. Erst wenige Tage zuvor waren in einer spektakulären Aktion mit einem Kran 16 Heiligenfiguren vom Dach geholt worden. Noch in der Nacht haben Ermittler damit begonnen, die Arbeiter der Baustelle zu befragen. Der Direktor von Notre-Dame sieht keine Sicherheitsmängel beim Brandschutz. Nach seinen Worten gebe es Brandaufseher, die drei Mal täglich den Dachstuhl prüfen, sagte Patrick Chauvet dem Sender France Inter. „Ich denke, dass man nicht mehr machen kann.“ Aber es gebe natürlich immer Vorfälle, die man so nicht habe vorhersagen könne. Man müsse nun prüfen was passiert sei – er wisse noch nichts.

Große Sorge galt während des Brandes auch den Kunstschätzen in der Kirche, deren Wert unermesslich ist und die jedes Jahr 13 Millionen Besucher anlocken. In Sicherheit ist die Dornenkrone, die Jesus Christus bei seiner Kreuzigung getragen haben soll, erklärte Patrick Chauvet. Sie gilt als eine der wertvollsten Reliquien, die in Notre-Dame zu sehen waren. Auch die große Orgel, die erst vor wenigen Jahren aufwändig renoviert worden ist, scheint nach ersten Angaben der Feuerwehr noch intakt. Wie es um die berühmten Rosettenfenster steht, ist noch nicht klar. Sie scheinen rein äußerlich den Brand überstanden zu haben, doch in welchem Zustand sie sind, muss von den Fachleuten noch untersucht werden. Auch die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo versicherte, das Gros der Kunstschätze und religiösen Relikte sei aus Notre-Dame herausgeholt worden.

Die Welle der Hilfsbereitschaft nach dem Brand macht deutlich, welche Bedeutung Notre-Dame für die Franzosen und die ganze Welt hat. Ein geschockter Passant sagte angesichts der hohen Flammen, die aus dem Dach der Kirche schlugen: „Dort brennt das Herz Frankreichs.“ Dabei geht die Bedeutung des Bauwerks weit über seinen kunstgeschichtlichen Rang als Inbegriff gotischer Baukunst hinaus, die Kathedrale ist ein Teil der nationalen Identität des Landes.

Kein Wunder also, dass Präsident Emmanuel Macron eine geplante Fernsehansprache an sein Volk kurzerhand absagte und noch in der Nacht der Katastrophe auf die Ile de la Cité eilte. „Ich sage Ihnen heute Abend feierlich: Diese Kathedrale, wir werden sie wiederaufbauen, alle zusammen“, sagte er mit bebender Stimme vor der brennenden Kirche in die Mikrofone. Gestern Abend versprach er, dass die Kathedrale in fünf Jahren wieder aufgebaut sei. Fachleute schätzen, dass es letztlich Jahrzehnte dauern werde, bis Notre-Dame wieder im alten Glanz erstrahlen kann – und dass es Unsummen von Geld verschlingen wird. Angesichts der Bedeutung der Kathedrale sind aber schon Stunden nach dem Inferno Hilfszusagen aus der ganzen Welt eingegangen. Gemeldet haben sich bereits mehrere Großspender. In Frankreich ist zwischen den Unternehmen ein regelrechter Wettlauf ausgebrochen. Die Familie des französischen Unternehmers und Milliardärs Bernard Arnault kündigte über Arnaults Luxuslabel LVMH an, sich mit 200 Millionen Euro an der Rekonstruktion beteiligen zu wollen. Zuvor hatte bereits die französische Milliardärsfamilie Pinault 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau versprochen. Auch Patrick Pouyanné, Chef von Total hat angekündigt, dass sein Unternehmen 100 Millionen geben werde.

Am Tag nach der Katastrophe steht Frankreich noch immer unter Schock. Doch bei den Franzosen zeigt sich auch der Wille, sich nicht von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit anstecken zu lassen.

 Die Nacht der Katastrophe: Flammen und Rauch steigen aus der Kathedrale Notre-Dame auf. Die Feuerwehr ist pausenlos im Einsatz.

Die Nacht der Katastrophe: Flammen und Rauch steigen aus der Kathedrale Notre-Dame auf. Die Feuerwehr ist pausenlos im Einsatz.

Foto: dpa/Julien Mattia
 Gefühl der Ohnmacht, nicht nur bei den Franzosen: Menschen versammeln sich in Paris und beten, während die Kathedrale brennt.

Gefühl der Ohnmacht, nicht nur bei den Franzosen: Menschen versammeln sich in Paris und beten, während die Kathedrale brennt.

Foto: dpa/Christophe Ena

Unter anderem das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz ruft zu einer Spende zum Wiederaufbau der Kathedrale auf. Informationen: www.dnk.de

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