Spitzenkandidaten Wer hat bald das Sagen in Brüssel?

Brüssel · Mit diesen Spitzenkandidaten gehen die wichtigsten Parteien in die Europawahl. Einer von ihnen dürfte Kommissionspräsident werden.

  Der Deutsche Manfred Weber ist Spitzenkandidat der EVP.

Der Deutsche Manfred Weber ist Spitzenkandidat der EVP.

Foto: dpa/Nicolas Armer

Sie sind die Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019, die in Deutschland am 26. Mai stattfindet. Und auch wenn das Modell keineswegs von jedem der Staats- und Regierungschefs mitgetragen wird, so hat es sich doch inzwischen durchgesetzt. Der Wahlgewinner – also der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im neuen Europäischen Parlament – könnte sogar noch weiter aufrücken: Sollten die Staatenlenker ihn (oder sie) beim EU-Gipfel Ende Juni mit Mehrheit unterstützen und die Abgeordneten nach einer Anhörung zustimmen, wird der Sieger der Wahl auch der nächste Kommissionspräsident. Die aussichtsreichsten Kandidaten:

Manfred Weber, Christdemokraten:

Der 46-jährige CSU-Politiker und stellvertretende Vorsitzende seiner Partei stammt aus Niederhatzhofen in Niederbayern. Er gehört seit 2004 dem Europäischen Parlament an und leitet dort seit 2014 die größte Fraktion in der Abgeordnetenkammer – die Christdemokraten, die sich in der Europäischen Volkspartei (EVP) zusammengeschlossen haben. Nach seinem Fachabitur leistete Weber seinen Wehrdienst in Neuburg an der Donau. Anschließend studierte er und schloss seine Ausbildung zum Ingenieur für Physikalische Technik an der Fachhochschule München ab. 1996 und 1998 gründete er die beiden Unternehmen DG Beratung GmbH und die G+U GbR. Beide Firmen sind im Bereich des Qualitätsmanagements und der Arbeitssicherheit tätig. Weber ist verheiratet und hat keine Kinder. Der CSU-Politiker vertritt deutlich konservative Positionen. Er war als Rechtspolitiker ein Befürworter der Vorratsdatenspeicherung, forderte immer wieder ein konsequentes Vorgehen gegen extremistische Webseiten. Ein echter Clou gelang Weber, als er im Parlament das kostenlose Interrailticket für alle Europäer zu deren 18. Geburtstag einbrachte. Weber führt auch die deutsche Liste von CDU und CSU für die Europawahl an.

Frans Timmermans, Sozialdemokraten:

Der 56-jährige Sozialdemokrat stammt aus dem niederländischen Maastricht, unweit der deutschen Grenze bei Aachen. In seiner Heimat gehört Timmermans der Partei von der Arbeit (PvDA) an. Seit 2015 ist er in der Europäischen Kommission der erste von insgesamt sieben Stellvertretern von Präsident Jean-Claude Juncker. Bessere Rechtsetzung, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechtecharta sind sein Ressort. Somit war Timmermans auch für die Verfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn federführend. Der Niederländer studierte Französische Literatur an den Universitäten Nijmegen und Nancy. Er gilt als Sprachengenie, weil er neben seiner Muttersprache auch fließend Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und Italienisch beherrscht. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat vier Kinder.

Timmermans war von 2012 bis 2014 niederländischer Außenminister, ehe er in die EU-Kommission wechselte. Der Sozialdemokrat gilt als der Vater eines Kurswechsels der obersten EU-Behörde. Er war es, der die umstrittene Ökodesign-Richtlinie einfror. Diese hatte zu vielen unpopulären Vorschriften wie reduzierter Saugleistung von Staubsaugern, geringerem Energieverbrauch von Wasserkochern und dem Verbot der Glühlampe geführt. Gleichzeitig präsentierte er über 80 neue Gesetzesinitiativen, damit sich die Kommission auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren sollte. Timmermans gilt vielen in Brüssel als der heimliche Kommissionspräsident.

Margrethe Vestager, Liberale:

„Diese Frau ist der Hammer.“ Diesen Satz hört man immer wieder. Brüssels politische Klasse ist sich selten so einig wie im Urteil über Margrethe Vestager, Europas Kommissarin für Wettbewerbsfragen. Die 50-jährige Dänin, verheiratete Mutter von drei Kindern, räumt mit einer Konsequenz den Markt der Großkonzerne auf, die sogar die Kritiker der Juncker-Kommission zu Lobeshymnen hinreißt. Amazon, Google, Starbucks, Fiat/Chrysler, Gazprom, Facebook und jetzt die deutschen Autobauer – wenn der Verdacht der Wettbewerbsverzerrung auftaucht, ist sie zur Stelle. Gegen nicht weniger als 24 EU-Mitgliedstaaten ermittelte die Sozialdemokratin von der Partei „Det Radikale Venstre“ (Die radikale Linke), die ihr Ururgroßvater gegründet hatte, wegen des Verdachts unfairer Steuerabsprachen. Mit 29 wurde sie dänische Innenministerin. 2014 ging sie nach Brüssel.

Ska Keller und Bas Eickhout, Grüne:

Die 37-jährige Deutsche Ska (Franziska) Keller und der 42-jährige Niederländer Bas Eickhout bilden die grüne Doppelspitze. Sie stammt aus der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben in der brandenburgischen Niederlausitz, er aus Groesbeck. Keller studierte Islamwissenschaft, Turkologie und Judaistik an der Uni Berlin und spricht fließend Englisch, Französisch, Spanisch und ein wenig Türkisch sowie Arabisch. Eickhout absolvierte eine Hochschulausbildung in Chemie und Umweltwissenschaften im niederländischen Nijmegen und beschäftigte sich nach dem Abschluss zunächst am Reichsinstitut für Volksgesundheit mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Beide gelten als Handelsexperten der Fraktion und auch für alle Themen rund um die Umwelt. Nach der Europawahl könnten beide eine wichtige Rolle spielen, wenn es um die Wahl des Kommissionspräsidenten geht. Denn jeder Bewerber wird die Stimmen der Grünen brauchen – und die haben schon klar gemacht, dass sie einen Kandidaten mit einem Programm ohne deutlichen ökologischen Schwerpunkt nicht unterstützen werden.

Violeta Tomic und Nico Cué, Linke:

Die 56-jährige slowenische Politikerin Violeta Tomic stammt ursprünglich aus Sarajewo in Bosnien-Herzegowina. Sie absolvierte eine Ausbildung an der Akademie für Theater, Radio, Film und Fernsehen. Sie wurde als TV-Moderatorin bekannt und 2014 als Mitglied der Levica-Partei („Die Linke“) in das slowenische Nationalparlament gewählt. Seit 2018 ist sie Vorsitzende des Kulturausschusses des Abgeordnetenhauses.

 Der Niederländer Frans Timmermans führt die SPE an.

Der Niederländer Frans Timmermans führt die SPE an.

Foto: dpa/Britta Pedersen
 ALDE schickt die Dänin Margrethe Vestager ins Rennen.

ALDE schickt die Dänin Margrethe Vestager ins Rennen.

Foto: dpa/Olivier Matthys
 Die Europäischen Grünen setzen auf die Deutsche Ska Keller und den Niederländer Bas Eickhout.

Die Europäischen Grünen setzen auf die Deutsche Ska Keller und den Niederländer Bas Eickhout.

Foto: picture alliance/AP Photo/dpa Picture-Alliance / Francisco Seco
 Violeta Tomic aus Slowenien und der Spanier Nico Cué sind die Spitzenkandidaten der Europäischen Linken.

Violeta Tomic aus Slowenien und der Spanier Nico Cué sind die Spitzenkandidaten der Europäischen Linken.

Foto: Europäische Union/Fred Marvaux

Nico Cué ist 63 Jahre alt, hat die spanische Staatsbürgerschaft, machte sich aber als Gewerkschafter in Belgien einen Namen. Er ist einer der Initiatoren der „Acteurs des temps présents“ (etwa: „Akteure der Gegenwart“), einer 2013 ins Leben gerufenen territorialen und antiliberalen Bewegung, die Gewerkschaften aus dem Metall- und Agrarsektor, akademische Partner und Kulturschaffende zusammenbringt.

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