Verfassungsgericht muss entscheiden Betreute dürfen bei Europawahl abstimmen

Karlsruhe · Viele Menschen mit einem Betreuer sind bisher von Wahlen ausgeschlossen. Jetzt geht alles ganz schnell. Sie sollen bereits bei der Europawahl am 26. Mai dabei sein können, entschied Karlsruhe.

 Betreute Menschen dürfen bereits bei der Europawahl an die Wahlurnen. Das hat das Bundesverfassungsgericht gestern entschieden.

Betreute Menschen dürfen bereits bei der Europawahl an die Wahlurnen. Das hat das Bundesverfassungsgericht gestern entschieden.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Wann sollen Menschen mit einer gerichtlich angeordneten Betreuung erstmals wählen dürfen? Vor dem Bundesverfassungsgericht stritten Antragsteller aus Reihen der Bundestagsfraktionen von Grünen, Linken und FDP gestern mit Vertretern der Bundesregierung um einen Eilantrag, der ein Wahlrecht bereits zur Europawahl am 26. Mai vorsieht.

Gestern Abend entschied das Karlsruher Gericht nun in einem Eilverfahren, dass bislang geltende Wahlausschlüsse auf Antrag nicht anzuwenden sind. Psychisch kranke und behinderte Menschen können also erstmals bei der Europawahl am 26. Mai ihre Stimme abgeben. Das ist deutlich früher, als die Bundestagsmehrheit ursprünglich vorgesehen hatte. Die Betroffenen müssen dazu ihre Aufnahme in das Wählerverzeichnis beantragen. Damit sind mehr als 80 000 Menschen in Deutschland erstmals wahlberechtigt.

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im Januar entschieden, dass der generelle Wahlausschluss von geistig oder psychisch beeinträchtigten Menschen verfassungswidrig ist. Der Bundestag wollte Betreuten das Wahlrecht allerdings erst nach der Europawahl geben.

Im Vorfeld sprach der Bevollmächtigte Ulrich Hufeld für die Antragsteller von einer Falschbestimmung des Wahlvolks, wenn Betreute ausgeschlossen werden. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, fragte, ob man es sich erlauben könne, „dass mehr als 80 000 Menschen verfassungswidrig von Wahlen ausgeschlossen werden“.

Für die Bundesregierung argumentierte der Bevollmächtigte Bernd Grzeszick, die Wahl stehe unmittelbar bevor. Damit Betreute wählen können, müssten Assistenzsysteme eingerichtet und Manipulation vermieden werden. Das brauche Zeit. Grzeszick verwies auch auf den Verhaltenskodex für Wahlen der Europäischen Kommission für Demokratie und Recht (Venedig-Kommission), nach dem das Wahlrecht ein Jahr vor einer Wahl nicht mehr verändert werden darf.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer, gab zu bedenken, dass eine Änderung jetzt möglicherweise mehr Schaden als Nutzen anrichten würde. „Uns fehlt die Zeit zum Ändern der Wählerverzeichnisse.“ Die Wählerverzeichnisse seien bereits erstellt und dürften nur noch in Einzelfällen geändert werden. „Wir wollen ein inklusives Wahlrecht für alle“, betonte Mayer.

Bundeswahlleiter Georg Thiel verwies auf die ungleiche Verteilung der Betroffenen in den Gemeinden und die damit verbundene Arbeitsbelastung zur Änderung der Wählerverzeichnisse. Eine Teilnahme von Betreuten an der Wahl sei aber aus organisatorischen Gründen nicht unmöglich.

Die Teilnahme betreuter Menschen an der Europawahl darf nach Ansicht des Sozialverbandes VdK nicht an der bis dahin knappen Zeit scheitern. „Bürokratische Hürden darf es nicht geben, wenn es um die Wahrung von Grundrechten geht“, teilte die VdK-Vorsitzende Verena Bentele mit.

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