Chef-Risiko Manager werden immer häufiger verklagt

München · Viele Klagen kommen aus dem eigenen Unternehmen. Cyber-Kriminalität und Datenschutz verschärfen das Problem.

 Deutschlands Chefs haben ein wachsendes Risiko, für Schäden haften zu müssen.

Deutschlands Chefs haben ein wachsendes Risiko, für Schäden haften zu müssen.

Foto: dpa/Oliver Berg

Deutschlands Manager laufen immer größere Gefahr verklagt zu werden. Die Klageneigung hat so stark zugenommen, dass die Manager-Haftpflicht für Versicherungen immer kostspieliger wird. Nach Einschätzung von Fachleuten aus der Branche sind die „D&O“-Policen für Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte mindestens in Teilen zu einem Verlustgeschäft geworden. Die auf Firmenkunden spezialisierte Allianz-Tochter AGCS meldet stark gestiegene Ausgaben für Schäden in den vergangenen Jahren.

D&O ist die Abkürzung der branchenüblichen englischen Bezeichnung für die Manager-Haftpflicht: Directors and Officers. Kostspielig für die Versicherungen sind demnach vor allem die Vorstände großer Unternehmen: Besonders im Industrie- und Konzernsegment seien sehr große Schäden immer häufiger aufgetreten, weitere könnten folgen, heißt es beim weltgrößten Rückversicherer Munich Re. Im Bereich der kleineren und mittelständischen Unternehmen sind nach Angaben der Münchner „steigende Basisschadenquoten“ zu verzeichnen. Das heißt, die Ausgaben für Schäden steigen im Verhältnis zu den Beitragseinnahmen.

„Die Klageneigung gegen das Management hat zugenommen“, sagt Martin Zschech, D&O-Experte bei der Allianz. „Bei der AGCS sind die Schadenmeldungen in der D&O-Versicherung in Deutschland von 2014 bis 2018 um 47 Prozent gestiegen.“ Ob die D&O-Policen insgesamt zum Zuschussgeschäft für die Branche geworden sind, ist nicht bekannt. Doch gibt es viele Indizien, die ahnen lassen, wie schwierig das Geschäft mit den Chefs geworden ist.

„Einige Versicherer haben sich aus dem Markt ganz zurückgezogen oder ihre Deckungssummen deutlich reduziert, weil die Schäden hoch sind“, sagt der auf D&O spezialisierte Düsseldorfer Rechtsanwalt Michael Hendricks. Er gilt als einer der führenden Fachleute auf diesem Gebiet in Deutschland, nach Hendricks‘ Schätzung nehmen die Versicherer mit dem Vertrieb von D&O-Policen jährlich zwischen 700 und 800 Millionen Euro ein. „Es reichen Schäden in zwei Dax-Unternehmen, damit die Einnahmen eines ganzes Jahres weg sind“, sagt der Experte.

Das wirft die Frage auf, warum Unternehmen überhaupt Produkte verkaufen, mit denen sich wenig oder gar kein Geld verdienen lässt. Die Manager-Haftpflicht „ist ein Türöffner, um andere Versicherungen zu verkaufen“, sagt Hendricks. Denn wer den Vorstand versichert, kennt die wichtigsten Leute in einer Firma.

Doch was ist die Ursache der steigenden Schäden? Verstoßen Vorstände und Geschäftsführer heutzutage häufiger gegen Vorschriften und Sorgfaltspflichten als vor 20 Jahren? Eine auffällige Besonderheit des deutschen D&O-Markts ist, dass die leitenden Angestellten häufig vom eigenen Unternehmen verklagt werden. Der harmlos klingende Fachbegriff dafür: „Innenansprüche“. Die Initialzündung für steigende Innenansprüche gab der Bundesgerichtshof (BGH) 1997 in einem Grundsatzurteil: „Damals hat der BGH festgestellt, dass Aufsichtsräte verpflichtet sind, Vorstände bei Pflichtverletzungen in Anspruch zu nehmen“, sagt Hendricks. „Tut ein Aufsichtsrat das nicht, riskiert er selbst Haftungsansprüche.“

Abgesehen von dieser Entscheidung verengt sich der rechtliche Spielraum, in dem sich Vorstände und Geschäftsführer bewegen. Zwei Beispiele wachsender rechtlicher Risiken für Manager: „Die europäische Datenschutzgrundverordnung und die Cyber-Kriminalität vergrößern das Problem“, sagt Hendricks. „Die Bußgelder für Verstöße gegen die DSGVO sind ähnlich hoch wie bei Kartellverstößen. Und wenn ein Vorstand nach einem Cyberangriff nicht nachweisen kann, dass er die notwendige Vorsorge getroffen hat, ist er voll in der Haftung.“

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