Regierungsbildung Der lange, lange Weg nach Jamaika

Berlin · Grüne und FDP stellen Bedingungen für ein Bündnis mit der Union. Angela Merkel gibt die große Koalition noch nicht ganz auf.

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Foto: dpa/Guido Kirchner

Die ersten Telefonanrufe von möglichen Koalitionspartnern hat FDP-Chef Christian Lindner schon bekommen. „Eine Hand voll“, sagte er. Die Namen der Anrufer verschwieg er. Doch echte Verhandlungen oder auch nur Sondierungen wurden gestern ohnehin nicht geführt. Man befindet sich noch in der Phase der Vorklärung.

So ist nicht einmal klar, welche Parteien miteinander reden werden. Merkel wollte sich jedenfalls nicht auf ein „Jamaika“-Bündnis zwischen Union, FDP und Grünen als einzige Variante festlegen. „Ich habe die Worte der SPD vernommen, trotzdem sollte man im Gesprächskontakt bleiben“, sagte sie. Es sei wichtig, dass Deutschland eine stabile Regierung bekomme. Auch CDU-Vize Ursula von der Leyen sagte, die Union müsse die Tür zu den Sozialdemokraten offen halten. „Es geht gar nicht, dass die sich einfach verabschieden.“

Allerdings ließ SPD-Parteichef Martin Schulz erneut keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, in die Opposition zu gehen und schuf bereits erste Fakten, indem er die bisherige Arbeitsministerin Andrea Nahles zur Fraktionsvorsitzenden vorschlug. Sie soll am morgigen Mittwoch gewählt werden. „Angela Merkel sollte ihre Zeit besser nutzen und andere anrufen“, sagte Schulz.

Grund für Merkels Zurückhaltung sind die sich abzeichnenden Schwierigkeiten eines Jamaika-Bündnisses. Daniel Günther (CDU), der in Schleswig-Holstein ein Jamaika-Bündnis anführt, räumte ein, dass die Hürden im Bund ein Stück höher seien, vor allem bei der inneren Sicherheit oder in der Flüchtlingspolitik. Sein Rat: Alle Parteien müssten sich wiederfinden, „und das haben wir immer ohne Vorfestlegungen gemacht“. Er empfehle, das auch in Berlin so zu halten.

Das freilich geschah schon am ersten Tag nicht. So nannte Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir drei Knackpunkte aus der Sicht seiner Partei: Klimaschutz, europäi­sche Integration und soziale Gerechtigkeit. Konkret geht es etwa um Forderungen, die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abzuschalten und den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor für das Jahr 2030 festzuschreiben. Besonders Letzteres ist ein regelrechtes Tabu für FDP wie CSU.

Die Grünen haben am Sonntag bei der Bundestagswahl mehr als 460 000 Stimmen hinzugewonnen. Auch das sorgt für viel Selbstbewusstsein in der Führung. Freilich muss sie auf dem Weg nach „Jamaika“ auch den linken Parteiflügel mitnehmen. Und dort befürchten nicht wenige, dass ein solches Bündnis die Partei zerreißen könnte. Der grüne Finanzexperte, Gerhard Schick, sagte unserer Zeitung: „Ich sehe Jamaika noch nicht.“ Denn CSU-Chef Horst Seehofer habe eine „deutliche Rechtsdrift“ in der Flüchtlingsfrage angekündigt. Eine Politik der Abschottung sei den Grünen jedoch nicht zu vermitteln. Am kommenden Wochenende soll ein kleiner Parteitag in Berlin die Marschrichtung abstecken.

Bei der FDP klang es nicht viel anders. „Wir wollen die Richtung der Politik verändern“, sagte Parteichef Christian Lindner. Er wisse, dass die FDP nicht alles fordern könne. Aber eine Trendwende müsse es schon geben. „Wenn das nicht möglich ist, wäre unser Platz in der Opposition.“ Massive Bildungsinvestitionen, ein Einwanderungsgesetz und eine neue Politik in der Eurozone sind drei liberale Kernpunkte. Dazu kommt ein eher emotionales Kriterium: „Die Vertrauensbasis muss stimmen“, sagte Generalsekretärin Beer. Den Liberalen sitzt noch in den Knochen, dass Angela Merkel sie in der letzten schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 politisch regelrecht verhungern ließ. Parteichef Lindner hat sich geschworen, eine Wiederholung zu verhindern. Wohl auch deshalb will er nicht in ein Kabinett gehen, sondern im Doppelamt auch Fraktionschef werden.

Der Weg nach Jamaika ist offenbar lang, zumal ernsthafte Verhandlungen erst nach der Niedersachsen-Wahl am 15. Oktober beginnen werden. Wie lange es denn dauern könne mit der Regierungsbildung in Deutschland, wurde Angela Merkel von einem ausländischen Journalisten gefragt. Die sonst so nüchterne Kanzlerin reagierte sarkastisch. „Ich bin da in Europa noch nicht der drängendste Fall“, sagte sie und verwies auf Hollands Premier Mark Rutte. Der sucht schon seit einem halben Jahr nach einer neuen Regierungsmehrheit.

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