Wahlideen der Parteien Die Grünen und der Jahreswohlstandsbericht

Berlin · Die von der Partei geplanten Wirtschaftsschriften sollen Nachhaltigkeit stärker im Blick haben – und nicht nur Wachstumsquoten. Teil vier der Serie.

Alle Parteien haben in ihren Wahlprogrammen markante und zum Teil auch ungewöhnliche Ideen parat, die wir in dieser Serie testen. Heute beschäftigt sich SZ-Korrespondent Werner Kolhoff mit dem sogenannten „Jahreswohlstandsbericht“ der Grünen.

Die Idee: Bisher veröffentlichen Wirtschaftsinstitute und -ministerium zwei Mal im Jahr Berichte und Prognosen über das Wirtschaftswachstum, im Frühjahr und im Herbst. Entscheidende und praktisch einzige Größe ist dabei das Bruttoinlandsprodukt, der Wert aller erzeugten Waren und Dienstleistungen. Außerdem noch die Arbeitslosenzahlen und das Einkommen. Nur: Diese Angaben bilden viele wichtige Faktoren nicht ab. Zum Beispiel nicht die ökologische Qualität des Landes, etwa die Luftqualität, die biologische Vielfalt oder den Landschaftsverbrauch. Auch nicht den Wert unbezahlter Erziehungs- und Sorgearbeit oder den Bildungsfortschritt. Schon gar nicht die Zufriedenheit der Bürger. Dafür geht als „Wachstum“ positiv in die Statistik ein, wenn zwei Autos zusammenstoßen – es werden ja zwei neue gebaut und verkauft. Die Grünen wollen nun eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung, eben den „Jahreswohlstandbericht“, einführen, der viel stärker die Nachhaltigkeit berücksichtigt.

Der Haken: Eigentlich gibt es keinen Haken. Alle Daten die für einen jährlichen Wohlstandsbericht notwendig wären, sind im Prinzip beim statistischen Bundesamt in Wiesbaden vorhanden, und es gibt auch genug Vorschläge, wie sie gewichtet und zusammengestellt werden könnten. Was bisher noch fehlt, ist allerdings die Bündelung aller Indikatoren zu einer griffigen Wohlstandskennziffer, ähnlich wie der Wachstumsquote.

Die Bewertung: Die Idee der Grünen ist keineswegs exotisch. Sie fußt auf umfassenden Vorarbeiten einer Bundestags- Kommission, die 2013 einmütig ebenfalls zu einem vielfältigeren Wachstums- und Wohlstandsbegriff geraten hatte. Sie schlug dafür zehn „Leitindikatoren“ vor, zu denen auch die Staatsschulden und der Grad der Freiheit gehörten. Die Bundesregierung folgte dem allerdings nur bedingt. Zwar veröffentlichte sie Ende letzten Jahres nach langer Verzögerung erstmals einen Bericht namens „Gut leben in Deutschland“, doch soll dieser nur einmal in vier Jahren erscheinen. Die Regierung verband die Erstellung zudem mit einem umfassenden Bürgerdialog, der eher den Charakter von Regierungswerbung hatte.

Fazit: Beides ist notwendig, eine wirtschaftliche Betrachtung und eine regelmäßige ganzheitliche Bewertung des Wohlstands. Das eine, um gezielt in ökonomische Prozesse eingreifen zu können. Das andere, um festzustellen, wo soziale und ökologische Fehlentwicklungen bestehen.

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