SPD nach dem Wahl-Debakel Ein Neuanfang mit vielen Fragezeichen

Berlin · Schulz poltert, Nahles schweigt. Er steht unter verschärfter Beobachtung. Sie könnte bald mächtiger sein als er.

Symbolfoto.

Symbolfoto.

Foto: dpa/Christian Charisius

(dpa) Martin Schulz macht nach einer kurzen Nacht da weiter, wo er in der TV-Elefantenrunde aufgehört hat. Volles Rohr gegen Angela Merkel. Die Kanzlerin sei für den „Zustand der deutschen Demokratie“ nach dem 24. September verantwortlich. Merkel habe fast neun Prozentpunkte verloren. Ein Großteil der Unionswähler sei zur AfD übergelaufen. „Angela Merkels Ende der Amtszeit hat gestern Abend, 18 Uhr, begonnen“, tönt Schulz bei seinem Auftritt im Willy-Brandt-Haus nach der historischen Demütigung der SPD.

Aus seinen Worten spricht tiefer Frust. Kein Wunder. Sechs Monate gab Schulz sein Leben für eine Kanzlerkandidatur her, die spätestens nach der verlorenen NRW-Wahl zum Scheitern verurteilt war. Aber ist es klug, nach katastrophalen 20,5 Prozent für die SPD mit dem Finger auf Merkel zu zeigen? Schulz’ krawallige Auftritte – erst als Schröder-Imitator in der TV-Spitzenrunde der Parteichefs und nun in der Pressekonferenz nach den Spitzengremien – illustrieren, da kämpft einer um seinen Job.

Die SPD war im Wahlkampf so geschlossen wie seit Jahren nicht mehr. Ob das nach dem Absturz so bleibt, ist eine spannende Frage. Das wird bei der wichtigsten Personalie deutlich, die nur einen Tag nach der Bundestagswahl so gut wie entschieden ist. Wer übernimmt den Fraktionsvorsitz im Bundestag, der in der Opposition das eigentliche Machtzentrum der SPD sein wird?

Am Morgen schlägt Schulz im Präsidium Andrea Nahles dafür vor. Die anwesenden Spitzengenossen klopfen auf die Tischplatte, was zumindest akustisch breite Zustimmung für die Arbeitsministerin und Frontfrau der Parteilinken signalisiert. Aber so klar ist die Sache nicht.

Fast zeitgleich verschickt der Anführer des konservativen „Seeheimer Kreises“, Johannes Kahrs, Zitate, die den Inhalt haben, eine rasche, für diesen Mittwoch angesetzte Wahl von Nahles zu verzögern. In wessen Auftrag ist Kahrs unterwegs? Hat Sigmar Gabriel seine Finger im Spiel, um einen Durchmarsch seiner Lieblingsgegnerin Nahles zu verhindern?

Sehr lange soll auch Schulz selbst auf die Fraktionsspitze geschaut haben. Dies bestritt er gestern vehement. „Ich habe nie darüber nachgedacht, Vorsitzender der Bundestagsfraktion zu werden.“ Er werde „komplementär“ mit Nahles arbeiten. Er wolle die SPD nicht nur in Berlin, sondern im Land stärken. Noch zehrt er von seinem 100-Prozent-Bonus, den er bei der Wahl zum Parteichef im März ausgezahlt bekam.

Nicht alle aber sind restlos davon überzeugt, dass der Mann aus Würselen der Richtige für den Neuanfang ist. Bis zum Parteitag im Dezember, wo eine neue Führung gewählt wird, kann noch einiges passieren. In drei Wochen wird in Niedersachsen gewählt. Die dortige SPD holte am Sonntag mit 27,4 Prozent immerhin das beste Zweitstimmenergebnis aller Landesverbände. SPD-Ministerpräsident Stephan Weil hofft, mit einer Ampel im Amt bleiben zu können.

Aber selbst ein Erfolg in Hannover würde nichts daran ändern, dass die SPD eine Generalinventur braucht. Den Sozialdemokraten stehen im Bundestag raue Zeiten bevor. Das wissen Schulz und Nahles. Bis zum Parteitag im Dezember soll es mehrere Klausuren geben, acht Regionalkonferenzen, um eine Strategie zu erarbeiten. Die Fehler von 2009 und 2013, die Niederlagen nicht aufzuarbeiten, dürften sich nicht wiederholen, sagt Schulz. Immer wieder betont er, das Wahlprogramm mit dem Schwerpunkt der sozialen Gerechtigkeit sei eine gute Richtschnur für die Zukunft. Die Wähler sahen das anders.

Wie eine Analyse der Meinungsforscher von Infratest dimap zeigt, konnte die Partei nur den härtesten Kern ihrer Anhängerschaft überzeugen. Die SPD verlor allein 470 000 Wähler an die AfD, 450 000 an die FDP, 430 000 an die Linke und 380 000 an die Grünen. Bedenklich für Schulz: Nur jeder fünfte SPD-Wähler gab der Partei seine Stimme, weil er den Kanzlerkandidaten toll fand. Schulz gibt sich davon unbeeindruckt. „Wir lassen den Kopf nicht hängen.“

Und wie reagiert die SPD, wenn die Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen platzen sollten? Schulz sagt, das Nein zur Groko sei endgültig. Die Kanzlerin könne sich einen Anruf sparen. Wirklich? „Ja, ganz klar“, antwortet Schulz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort