Katholische Kirche Die dunkle Erinnerung des Wolfgang Niedecken

Köln · Missbrauch unterm Kreuz – das gab es tausendfach, auch in Deutschland. Der BAP-Frontmann erlebte ihn im Internat. Heute beginnt ein Bischofsgipfel zum Thema.

  Wolfgang Niedecken, Sänger der Kölner Band BAP, wurde während seiner Zeit im Internat nach eigenen Worten von einem Pater missbraucht .

Wolfgang Niedecken, Sänger der Kölner Band BAP, wurde während seiner Zeit im Internat nach eigenen Worten von einem Pater missbraucht .

Foto: dpa/Uwe Anspach

Wolfgang Niedecken war 13 Jahre alt, als er im Internat St. Albert in Rheinbach bei Köln von einem Pater geschlagen und sexuell missbraucht wurde. Wenn er beim Vokabel-Abfragen stockte, wurde er anschließend blutig geprügelt – mit einem Stock, den er sich selber schneiden musste. Abends konnte es geschehen, dass er von dem Pater aus dem Bett geholt wurde. „Dann durfte man sich bei dem auf den Schoß setzen und wurde befummelt.“ Es sei der perfekte Psychoterror gewesen. Denn: „Bei diesem Peiniger mussten wir dann auch noch beichten gehen“, erzählt der heute 67 Jahre alte BAP-Frontmann. „Und wir waren ja gläubig. Das war die reinste Gehirnwäsche. Er konnte uns ausfragen und mit diesem Wissen dann in die Enge treiben. Perfide.“

Früher behauptete die Kirche, solche Schicksale wären Einzelfälle. Heute sagt das niemand mehr. Die im September veröffentlichte Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ergab: Zwischen 1946 und 2014 sollen mindestens 1670 katholische Kleriker 3677 meist männliche Minderjährige missbraucht haben. Das entspricht 4,4 Prozent aller Kleriker. „Das ist die Spitze des Eisbergs“, sagt dazu der DBK-Missbrauchsbeauftragte und Trierer Bischof Stephan Ackermann. In anderen Ländern sieht es ähnlich aus.

Deshalb hat Papst Franziskus für morgen die Chefs der Bischofskonferenzen aus aller Welt in den Vatikan eingeladen. Bei diesem bisher beispiellosen Spitzentreffen soll vor allem besprochen werden, wie Missbrauch künftig verhindert werden kann.

Wolfgang Niedecken ist 1980 aus der Kirche ausgetreten, kurz nach dem Tod seines tief gläubigen Vaters. „Ich habe diesen Schritt nie bereut.“ Dennoch hat ihn die Missbrauchserfahrung nicht zu einem eingeschworenen Feind der Kirche werden lassen. „Der Papst macht auf mich einen hervorragenden Eindruck“, sagt der Kölsch-Rocker. Und auch den Missbrauchsbeauftragten Ackermann habe er in Gesprächen als glaubwürdig kennengelernt. „Auf der anderen Seite gibt es im Vatikan eine starke konservative Opposition“, glaubt er. „Die gehen nach der Salamitaktik vor: nur zugeben, was sowieso schon bewiesen ist.“

Tatsächlich gehen die meisten Beobachter davon aus, dass die katholischen Bischöfe tief gespalten sind, auch die deutschen. Zwar herrscht Einigkeit darüber, dass der Missbrauch bekämpft werden muss – aber zutiefst uneinig sind sie sich in der Frage, ob dafür die Strukturen der Kirche verändert werden müssen. „Manche Bischöfe leben in der dogmatischen Überzeugung, von Gott persönlich in ihre Ämter berufen worden zu sein“, erläutert der Dogmatik-Professor Michael Seewald. „Sie meinen deshalb, dass sie nur Gott und eventuell noch dem Papst über ihre Amtsführung Rechenschaft schulden. Das ist fatal.“

Die Autoren der deutschen Missbrauchsstudie haben mehrere Punkte benannt, die die Straftaten in ihren Augen begünstigen: Die ausgeprägte klerikale Macht Einzelner, der Zölibat und der problematische Umgang mit Sexualität, vor allem Homosexualität. In Deutschland sind die Erwartungen groß, dass sich hier jetzt schnell Entscheidendes ändert.

So fordert das Zentralkomitee der deutschen Katholiken eine völlige Gleichstellung von Frauen und Männern in allen kirchlichen Ämtern sowie die Abschaffung des Zölibats. Auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur ergab diese Woche, dass die meisten Deutschen – auch Nicht-Katholiken – radikale Schritte von der Kirche erwarten: 72 Prozent wollen Frauen als Priester, 82 Prozent sind für die Abschaffung des Zölibats. Wolfgang Niedecken sieht es genauso: „Ich frage mich wirklich, was dieser Unsinn in unserer heutigen Zeit noch soll. Das datiert aus dem Mittelalter.“

Die Themen Zölibat und Frauenpriestertum stehen bei der Konferenz im Vatikan aber noch nicht mal zur Debatte, geschweige denn, dass hier Änderungen beschlossen werden könnten. „Ich erwarte mir von dem Treffen in Rom keine konkreten Einzelentscheidungen“, sagt Experte Seewald, der selbst Priester ist. „Zukunftsweisend wäre allerdings ein Signal, dass man es nicht bei kosmetischen Veränderungen belassen will, und ein Eingeständnis, dass der Missbrauch etwas mit Fehlentwicklungen in der theologischen Struktur der katholischen Kirche zu tun hat. Dadurch würde der Papst auch den bisherigen Verweigerern eine Diskussion über Amt und Leitung sowie Macht und Machtkontrolle abringen. Das wäre schon ein Fortschritt.“

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