Tierschutz und Wirtschaft Tierwohl hier, weitere Quälerei dort

Berlin · Millionen männlicher Küken werden jedes Jahr aus wirtschaftlichen Interessen getötet. Das soll mit einer neuen Methode nicht mehr nötig sein. Gleichzeitig wird die betäubungslose Ferkelkastration noch länger erlaubt.

DAs millionenfache Kükentöten soll ein Ende haben, das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln geht weiter
Foto: dpa/Christoph Schmidt

Nicht nur Tierschützer stehen Kopf, auch vielen Verbrauchern geht das millionenfache Schreddern männlicher Küken, die wirtschaftlich nicht verwertbar sind, mächtig gegen den Strich. Ebenso erregt das betäubungslose Kastrieren junger Schweine die Gemüter. Nun gibt es zwei widersprüchliche Nachrichten aus der Tierschutzabteilung der Groko: Beim Erreichen des Ziels, das Töten männlicher Küken zu beenden, verkündete Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) gestern stolz einen „Durchbruch“. Jetzt sei es technisch möglich, das Geschlecht schon im Ei zu bestimmen. Das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln wird nach dem Willen der großen Koalition gleichzeitig zwei weitere Jahre erlaubt, als zunächst beschlossen.

Rund 45 Millionen männliche Küken aus Legehennen-Brütereien werden derzeit jährlich getötet, meist vergast, weil sie keine Eier legen können und nur schlecht Fleisch ansetzen. Seit Jahren wird an Techniken geforscht, das Geschlecht schon im Ei zu bestimmen, um dieses Drama zu beenden. Die Bundesregierung stellte dafür fünf Millionen Euro bereit. Jetzt ist laut Klöckner ein Verfahren „marktreif“. Leipziger Forscher und die Firma „Seleggt“ haben eine Maschine entwickelt, bei der per Laserstrahl ein minimales Loch in die Schale gebrannt wird. Klein genug, um sich hinterher von selbst wieder zu verschließen, groß genug, um etwas Flüssigkeit austreten zu lassen, die dann per Biotest unmittelbar das Geschlecht preisgibt. Pro Brut-Ei benötigt man eine Sekunde.

„Seleggt“ hat dafür auch schon einen kommerziellen Partner gefunden. Rewe will Eier von Hennen aus dieser Linie als ­„Respeggt“-Eier vermarkten. „Egg“ ist englisch für Ei. In Berlin beginnend sollen sie bis Ende 2019 bundesweit angeboten werden. Die Sechser-Packung kostet zehn Cent mehr. Für Brütereien und Zwischenhändler ist die Technik gratis; kassiert wird per „Lizenzgebühr“ erst beim Vermarkter, der es an den Endkunden weitergibt. Rewe glaubt, dass dieser Preissprung akzeptiert wird und bald auch andere Märkte nachziehen.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßte den Vorstoß der Ministerin. Das neue Verfahren solle baldmöglichst flächendeckend in allen Brütereien zum Einsatz kommen, meinte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. „Es darf aber nicht bei einer Werbeveranstaltung einzelner Unternehmen bleiben“, so Krüsken.

Die deutsche Geflügelwirtschaft reagierte mit erheblicher „Irritation“ auf den Vorstoß. Die Kapazität der Anlage sei noch viel zu gering und passe nicht in die Abläufe. Trotzdem würden Veterinärbehörden und Gerichte das Töten von Küken unter Hinweis auf Klöckners Äußerungen womöglich schon jetzt als unnötig betrachten und verbieten. Dann entstehe riesiger Schaden. Der Vorstoß sei vorschnell.

Tatsächlich lässt Klöckner weiter an Alternativen forschen, darunter die Geschlechtsfeststellung mit Magnetresonanz-Geräten und mittels Spektrometern. Außerdem kann die jetzt vorgestellte „Seleggt“-Technik das Geschlecht erst ab dem neunten Bruttag feststellen. Die so ermittelten männlichen Embryonen, die anschließend als Tierfutter verwertet werden sollen, haben dann aber schon Schmerzempfinden. Als schmerzfrei gilt erst eine Entsorgung vor dem sechsten Tag. Tierschützer fordern ohnehin, alle Küken auswachsen zu lassen. Das setzt allerdings andere Züchtungen voraus. An diesen „Zweinutzungsküken“, bei denen sowohl die Henne viele Eier legt als auch der Hahn Fleisch ansetzt, lässt das Landwirtschaftsministerium mit 1,6 Millionen Euro ebenfalls weiter forschen.

Während es beim Kampf gegen das Kükentöten voranzugehen scheint, geht das betäubungslose Kastrieren männlicher Ferkel in eine unerwartete Verlängerung. Schon vor fünf Jahren war beschlossen worden, die für die Tiere sehr schmerzhafte Prozedur ab 2019 zu verbieten; jetzt soll die Frist auf Antrag der großen Koalition erst 2021 enden. Heute ist das Thema im Bundestag. Der Grund für die Verlängerung laut Klöckner: Man brauche mehr Zeit, um Möglichkeiten der Betäubung zu erforschen. Die Grünen kritisierten, dass diese Zeit im Ministerium in den letzten fünf Jahren vertan worden sei. Außerdem gebe es schon genug alternative Möglichkeiten.

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