Schäubles Appell „Die Aufgabe ist groß, aber lösbar“

Berlin · Bundestagspräsident Schäuble appelliert an die Parteien – und setzt ein Zeichen.

Der erste Satz von Wolfgang Schäuble lässt noch nicht erahnen, was er später den Parteien ins Stammbuch schreiben wird. „Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Knopf gefunden“, grinst Schäuble. Vor vier Wochen, nach seiner Wahl zum Bundestagspräsidenten, hatte er noch Probleme, das Mikrofon einzuschalten. Also gibt es jetzt anerkennenden Applaus von den amüsierten Abgeordneten. Dann wird es still – und Schäuble legt los.

„Dies ist heute eine besondere Sitzung, keine Frage.“ Und damit meint er nicht die sieben Bundeswehreinsätze im Ausland, die von der Mehrheit des Hauses verlängert werden. Und auch nicht, dass ein Hauptausschuss eingesetzt wird, damit das Parlament bis zur Regierungsbildung handlungsfähig ist. Er meint das Aus der Jamaika-Verhandlungen.

„Wir stehen alle unter dem Eindruck der am Sonntag ergebnislos abgebrochenen Sondierungsgespräche“, sagt der Bundestagspräsident. Verständlich sei, dass sich Menschen Sorgen machten um die politische Handlungsfähigkeit des Landes. Jedem sei nach der Wahl klar gewesen, „dass keine leichte Aufgabe auf uns wartet“. Aber das Volk habe entschieden, „und damit müssen wir verantwortlich umgehen“, mahnt Schäuble die Parteien. „Die Aufgabe ist groß, aber sie ist lösbar.“ Die jetzige Situation sei „eine Bewährungsprobe, aber es ist keine Staatskrise“. Schäuble ergänzt noch: In Teilen vom eigenen Wahlprogramm abzurücken, „das ist kein Umfallen. Auch keine Profilschwäche.“ Ansonsten müsse jeder sein Vorgehen „schlüssig erklären, damit nicht der Eindruck entsteht, man wolle sich der Verantwortung entziehen“. Es ist die Standpauke eines Parlamentariers, der dem Bundestag seit 45 Jahren angehört.

Wie düsterer Nebel kriecht das abrupte Ende der Sondierungsgespräche durch die Gänge des Reichstages. In der Lobby wird darüber fleißig diskutiert, Beteiligte wie der Grüne Jürgen Trittin geben Interviews und weisen jede Mitschuld von sich. Und am Rednerpult betont die geschäftsführende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU): „Deutschland steht für Verlässlichkeit.“ Einige Abgeordnete lachen, nur wenige applaudieren. Also wiederholt von der Leyen den Satz nochmal mit Nachdruck. Jetzt merkt auch die Union, dass sie besser klatschen sollte.

Schäuble sagt nicht, an wen er seine Appelle richtet, es wird auch so deutlich: Zum einen ist die SPD gemeint, die nicht bereit ist, in eine große Koalition einzutreten. In der ersten Reihe seiner Fraktion nimmt Parteichef Martin Schulz die Worte mit versteinerter Miene zur Kenntnis. Zum anderen darf die FDP sich angesprochen fühlen, die die Sondierungen hat platzen lassen. Ihr Fraktions- und Parteichef Christian Lindner nutzt die Sitzung zu einem eigenen Auftritt. Erst kommt er etwas zu spät, dann geht er früher. Aber nicht, ohne allen geschäftsführenden Regierungsmitgliedern in der ersten Reihe der Regierungsbank ungefragt die Hand zu schütteln – und natürlich auch der Kanzlerin. Angela Merkel scheint das Manöver zu durchschauen, sie quittiert den Lindner-Abgang mit süffisantem Lächeln. Nur kurze Zeit später macht sie klar, wem sie inzwischen deutlich näher steht. Zweimal spaziert sie zur grünen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt, jedes Mal führen beide freundlich ein kurzes Gespräch. Auch schüttelt die Kanzlerin Claudia Roth lange die Hand. Es sind diese kleinen, dennoch aussagestarken Gesten, die Merkel perfekt beherrscht. Die Sondierungen haben eindeutig Präferenzen verschoben. Die FDP ist out, die Grünen sind in.

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