Analyse der Meinungsforscher Harte Kritik machte AfD im Schlussspurt erst groß

Von Stefan Vetter

BERLIN (SZ/kna) Das starke Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl ist nach Einschätzung führender Meinungsforscher durch die Frontalkritik der anderen Parteien sowie der Medien begünstigt worden. „Das hat der Partei noch mal einen Schub gegeben“, sagte Allensbach-Chefin Renate Köcher gestern bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin. Nach den Analysen der Demoskopen konnte die AfD vor allem einstige Wähler der großen Parteien für sich gewinnen. Etwa jede fünfte Stimme für die Rechtspopulisten ging zu Lasten der CDU. Und immerhin noch jeder zehnte Wähler, der vor vier Jahren sein Kreuzchen bei der SPD gemacht hatte, votierte diesmal ebenfalls für die AfD.

Die anteilsmäßig größte Gruppe bildeten allerdings vormalige Nichtwähler – 35 Prozent der Stimmen für die Rechten kamen aus ihrem Lager. Aus Sicht von Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen bestand ein Fehler darin, die AfD als Partei in die „Nazi-Ecke“ zu stellen. Auf diese Weise stelle man „jeden, der auf der Wählerebene locker mit der AfD sympathisiert, auch in diese Ecke“. Dabei sei die Partei ein Sammelbecken sehr unterschiedlicher Gruppen, ergänzte Nico Siegel von Infratest dimap.  Dazu zählten Euro-Skeptiker genauso wie „frustrierte Konservative“ und Rechtsradikale.

Im Kern sehen die Meinungsforscher eine „rechte Repräsentationslücke“ in der deutschen Parteienlandschaft, die nun die AfD ausfüllt. Dies habe sich vor allem im Zuge der Flüchtlingsströme im Spätsommer 2015 entwickelt. „Da gab es keine Opposition im Parlament“, sagte Köcher. Alle wären mehr oder minder strikt für den Kurs von Angela Merkel gewesen. Zwar spielte das Flüchtlingsthema später nur noch eine untergeordnete Rolle. Von den anderen Parteien und den Medien sei es aber kurz vor der Wahl „wieder aktualisiert“ worden – zum Vorteil der AfD. Obendrein habe sich die Partei mit „gezielten Provokationen“ wie etwa den verbalen Angriffen auf die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz („in Anatolien entsorgen“) viel „Sendezeit erworben“, so Forsa-Bereichsleiter Peter Matuschek.

Dass die AfD schon bald wieder verschwinden könnte, halten die Forscher praktisch für ausgeschlossen. Mit einer Partei am rechten Rand werde man wohl auf Dauer leben müssen. Letztlich sei das auch eine „natürlich Konstellation“, meinte Jung. Soll heißen: So, wie sich die SPD schon seit vielen Jahren mit einer Partei links neben ihr konfrontiert sieht, wird auch die Union mit einer rechten Konkurrenz umzugehen haben. Im Einzug der AfD in den Bundestag sehen die Experten jedenfalls noch keinen Grund zum Alarmismus. Angesichts der „heterogenen Programmatik“ und Flügelkämpfe liege der „Stresstest“ weniger bei der Demokratie als vielmehr bei der AfD selbst, erklärte Siegel.

Interessant bleibt gleichwohl, dass die Mehrheit der AfD-Wähler nach Erkenntnissen der Demoskopen nicht aus Überzeugung für diese Partei votiert hat, sondern um den anderen eins auszuwischen. Das gab es bei keiner anderen Partei. Zum ersten Mal sei eine Bundestagswahl damit zur „Denkzettelwahl“ geworden, sagte Allensbach-Chefin Köcher. Bislang habe man das nur von Landtagswahlen gekannt.

Ein „katastrophales Ergebnis“ attestiert Jung allerdings der CSU. Als Grund nennt er einen Glaubwürdigkeitsverlust. Die bayrische Schwesterpartei der CDU habe es an der wesentlichen „strategischen Grundorientierung“ vermissen lassen. So habe sie die Kanzlerin zunächst beschädigt, dann aber zur Wahl empfohlen. Auch für Köcher  hat die Union „stark unter Zerstrittenheit gelitten“.

Einig sind sich die Forscher über ein „Einsinken der Union auf der letzte Strecke“, wie es Siegel formulierte. Für die Union sei der Wahlkampf zum Schluss „miserabel gelaufen“, so Köcher, denn plötzlich sei der Flüchtlingszuzug von 2015 wieder thematisiert worden – und habe die Menschen erneut verunsichert.

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