Terror in Neuseeland Gefilmtes Grauen im Gotteshaus

Christchurch · Neuseeland gilt allgemein als friedlich. Jetzt erschüttert ein Angriff auf zwei Moscheen den Pazifikstaat. Mindestens 49 Menschen sterben.

 Die Al-Noor-Moschee im neuseeländischen Christchurch wurde am Freitag zum Schauplatz eines Terroranschlags.

Die Al-Noor-Moschee im neuseeländischen Christchurch wurde am Freitag zum Schauplatz eines Terroranschlags.

Foto: dpa/Martin Hunter

Die Al-Nur-Moschee von Christchurch ist kein Gebäude, das besonders auffällt. Ein eher zweckmäßiger Bau in Weiß, direkt an einem Park, mit goldener Kuppel und Minarett und einem großem Parkplatz davor. Auch wenn Muslime in Neuseeland sehr in der Minderheit sind: An die Moschee in der Deans Avenue, einer ruhigen Straße, hat man sich in der 350 000-Einwohner-Stadt des Pazifikstaats schon lange gewöhnt.

An diesem Freitag jedoch, kurz vor 13.45 Uhr, die Gemeinde ist gerade zum üblichen Freitagsgebet versammelt, mehr als 300 Leute, marschiert ein schwer bewaffneter Mann in das Gotteshaus – ein Weißer, markantes Gesicht, kurzes Haar. Später wird bekannt, dass er aus Australien kommt, 28 Jahre alt. Auf dem Helm hat er eine Kamera, die alles filmt, was er tut, und live ins Internet überträgt. Es deutet alles darauf hin, dass die Aufnahmen authentisch sind.

In den Händen hält er eine Schnellfeuerwaffe. Um den Leib hat er sich eine kugelsichere Weste geschnallt. Die Fingerkuppen der Handschuhe hat er abgeschnitten. Dann schießt er los. Auf den Bildern, die auch nach vielen Stunden noch im Netz zu finden sind, hört man zu den Schüssen einen Marsch. Von oben sieht man den Lauf seiner Waffe, alles aus der Ich-Perspektive. Es ist wie eines dieser Ballerspiele. Aber in echt.

Was das bedeutet, ist kaum zu begreifen: In der Al-Nur-Moschee von Christchurch wird nichts nie wieder so sein wie vorher. Auf dem grünen Teppichboden und in den Gängen liegen die Leichen von 41 Menschen. Das letzte Opfer ist eine Frau. Der Mann erschießt sie, als sie schwer verletzt im Rinnstein liegt.

Dann steigt er wieder ins Auto, immer noch mit Helmkamera. Jetzt läuft ein Song von Arthur Brown (1968): „Fire“. Erste Zeile: „Ich bin der Gott des Höllenfeuers. Und ich bringe euch Feuer.“ Die Inszenierung ist an Zynismus nicht zu überbieten. Dann sagt er noch, dass er es bedauere, die Moschee nicht abgefackelt zu haben. Auf weiteren Waffen, die der Mann im Kofferraum hat, ist „Kebab Remover“ („Kebab-Entferner“) zu lesen und der Name eines Mädchens, das 2017 bei einem Terrorangriff in Schweden starb. Im Netz – auf Twitter und einem Diskussionsforum mit vielen rechtsextremen Beiträgen – kursiert zudem ein 74-seitiges „Manifest“, in dem sich mutmaßlich der Täter zu seinen Motiven äußert.

Der Verfasser betont, eine „Atmosphäre der Angst“ schaffen zu wollen. Sich selbst beschreibt er als jemanden aus der Arbeiterklasse. Das Schreiben nimmt auch auf den norwegischen rechtsextremen Massenmörder Anders Behring Breivik Bezug. Ob das „Manifest“ tatsächlich von dem Australier kommt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Polizei wollte sich dazu nicht näher äußern, genauso wenig wie zu dem insgesamt 17-minütigen Video.

Für Neuseeland ist dies eine der schlimmsten Gewalttaten der jüngeren Geschichte. Der letzte Amoklauf liegt hier fast schon ein Vierteljahrhundert zurück. 1990 erschoss ein Mann 13 Menschen. Aber so etwas wie jetzt gab es noch nie. Premierministerin Jacinda Ardern sagt über die muslimischen Opfer: „Neuseeland war ihre Heimat. Sie hätten sich hier sicher fühlen sollen.“ 

Und dann wird auch noch bekannt, dass in einer zweiten Moschee, ein paar Kilometer weiter, sieben weitere Menschen erschossen wurden. Einer stirbt später im Krankenhaus. Wie das zusammenhängt, weiß man auch nach vielen Stunden nicht. Die Polizei will nicht einmal sagen, ob dort derselbe Mann geschossen hat.

Fest steht: Drei Verdächtige werden festgenommen – auch der Mann aus der Al-Nur-Moschee. Auf einem Video ist zu sehen, wie ihn Beamte aus seinem Auto zerren und auf den Boden zwingen. An diesem Samstag soll er wegen vielfachen Mordes einem Richter vorgeführt werden. Australiens Premierminister Scott Morrison bestätigt, dass es sich um einen Australier handelt. Er nennt ihn einen „rechtsextremistischen gewalttätigen Terroristen“. Neuseelands Regierungschefin Ardern stuft die Tat ebenfalls als „terroristischen Angriff“ ein, gerichtet gegen Andersgläubige. In Neuseeland sind Muslime nur eine kleine Minderheit: etwa 50 000, viele davon aus Staaten wie Pakistan oder Bangladesch.

 Die Polizei spricht nach der Schießerei vor dem muslimischen Gotteshaus mit Zeugen des Attentats.

Die Polizei spricht nach der Schießerei vor dem muslimischen Gotteshaus mit Zeugen des Attentats.

Foto: dpa/David Alexander
  Muslime beten an der Lakmeba-Moschee im australischen Wakemba für die Opfer. Der mutmaßliche Hauptattentäter stammt aus Australien .

Muslime beten an der Lakmeba-Moschee im australischen Wakemba für die Opfer. Der mutmaßliche Hauptattentäter stammt aus Australien .

Foto: dpa/Mark Goudkamp

Als der Tag in Christchurch zu Ende geht – der Pazifikstaat ist Deutschland um zwölf Stunden voraus –, sind die beiden Moscheen immer noch weiträumig abgesperrt. 48 Menschen liegen mit teils schweren Schusswunden in Krankenhäusern, auch kleine Kinder. Man weiß nicht, ob sie alle durchkommen werden.

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