Unabhänigkeitsreferendum Iraks Kurden nach Rückzug ernüchtert

Kirkuk · Seit Jahrzehnten sehnt sich die Volksgruppe nach einem eigenen Staat. Doch jetzt ist ihr Traum in weite Ferne gerückt.

() Drei Wochen erst ist es her, da feierten die Kurden im Nordirak ausgelassen auf den Straßen. Autos fuhren mit Hupkonzerten durch die kurdische Regionalhauptstadt Erbil und legten den Verkehr lahm. Die Kurden bejubelten die überwältigende Mehrheit, mit der sie in einem Referendum für die Abspaltung vom Irak gestimmt hatten. Ihre Unabhängigkeit schien nah. Endlich.

Mittlerweile aber ist die unbändige Freude Ernüchterung und Frust gewichen. Anstatt einem eigenen Staat näher zu kommen, mussten sich die Kurden in den vergangenen zwei Tagen aus zahlreichen Regionen zurückziehen, die sie im Kampf gegen die IS-Terrormiliz eingenommen hatten. Bagdad will die Abspaltung der Kurden unter allen Umständen verhindern – und setzte dabei auf eine Eskalation. „Wir sind um 100 Jahre zurückgeworfen“, schimpft ein Kurde aus Erbil, der bei der Volksabstimmung Ende September für die Unabhängigkeit gestimmt hatte. Viele Kurden dürften sich angesichts des Vormarsches bestätigt sehen in ihrer Abneigungen gegen die Zentralregierung. Die Kurden und die Mächtigen in Bagdad – eines der schwierigsten Kapitel der irakischen Geschichte.

Eingebrannt ins Gedächtnis der Kurden hat sich vor allem Saddam Husseins Anfal-Kampagne, der in den 1980er Jahren Zehntausende zum Opfer fielen. Nicht zuletzt aus solchen traumatischen Kapiteln speist sich die Sehnsucht der Kurden nach einem eigenen Staat. Kurden-Präsident Massud Barsani warf der von Schiiten dominierten Regierung vor, sie diskriminiere die Minderheiten im Land.

Mit dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum wollte sich Barsani ein Vermächtnis schaffen. Jetzt aber sieht es so aus, als hätte sich der 71-Jährige verpokert. Schließlich mussten sich die Kurden aus Gebieten zurückziehen, die sie nicht aufgeben wollten. Insbesondere der Verlust der Provinz Kirkuk schmerzt sie. Die Kurden zählen sie zu ihrem Stammgebiet und erheben auf das umstrittene Gebiet ebenso Anspruch wie die Zentralregierung. Als im Sommer 2014 die irakische Armee vor dem IS-Ansturm zusammenbrach, nutzten die Peschmerga die Gunst der Stunde und rückten in Kirkuk ein. Denn vor allem ist Kirkuk reich an Öl, das ein kurdischer Staat bräuchte, um lebensfähig zu sein.

Enttäuscht sind die Kurden, weil sie sich von der Welt im Stich gelassen fühlen. Die großen Nachbarn Türkei und Iran wollen einen unabhängigen Kurden-Staat ohnehin verhindern, weil ihre eigenen kurdischen Minderheiten kein Vorbild bekommen sollen. Aber auch die USA, eigentlich ein Verbündeter Barsanis, hatten den Präsidenten vor dem Referendum gewarnt. Jetzt werfen die Kurden den Amerikanern vor, sie hätten sie fallengelassen. US-Präsident Donald Trump erklärte, er wolle in dem Konflikt keine Partei ergreifen. Für Washington hat der Kampf gegen den IS absoluten Vorrang. Die USA unterstützten dabei sowohl Iraks Armee als auch die Peschmerga. Militärisch besiegt sind die Extremisten trotz großer Verluste bisher nicht. Noch immer kontrollieren die Dschihadisten im Westen des Iraks Gebiete. Sollte der Streit zwischen Kurden und Zentralregierung eskalieren, könnte das auch den Kampf gegen den IS negativ beeinflussen. Vor allem aber könnte der Konflikt den ohnehin schon schwachen irakischen Staat weiter auseinanderfallen lassen – und so den Boden für eine Rückkehr der IS-Terrormiliz bereiten.

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