Rolle des Bundespräsidenten Plötzlich hängt alles von Steinmeier ab

Berlin/Saarbrücken · Auf der Suche nach einer neuen Regierung nimmt der Bundespräsident die Parteien in die Verantwortung – auch die SPD. Und die ersten Genossen schwenken nun doch in Richtung große Koalition um.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

(dpa/SZ) Diplomatisches Geschick wird ihm ja bescheinigt nach acht Jahren als Außenminister. Frank-Walter Steinmeier weiß, wann es auf ihn ankommt, in internationalen Konfliktlagen wie der Ukraine oder dem Iran, oder eben jetzt, in der innenpolitischen Sackgasse nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen. Dass er dabei ausgerechnet und vor allem der SPD ins Gewissen reden muss, macht seine Mission besonders schwierig.

Der sonst eher machtlose Bundespräsident hat plötzlich eine zentralen Rolle. Artikel 63 des Grundgesetzes regelt das. Vom Staatsoberhaupt hängt am Ende ab, ob es zu Neuwahlen kommt oder zu einer Minderheitsregierung. Vorher allerdings knöpft er sich noch einmal die Parteiführer vor. Mit Kanzlerin Angela Merkel traf er sich schon am Montag, mit FDP und Grünen sprach er, jeweils eine knappe Stunde, am gestrigen Dienstag. Von den Gesprächen wurden keine Einzelheiten bekannt. CSU-Chef Horst Seehofer kommt heute, SPD-Chef Martin Schulz morgen.

Dessen bisheriger Kurs ist in der eigenen Partei offenbar nicht ganz unumstritten. In der SPD-Bundestagsfraktion trauen sich erste Politiker, den Beschluss der Parteispitze gegen eine erneute große Koalition zu kritisieren. So spricht sich der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Bernd Westphal, klar für Gespräche mit CDU/CSU und gegen Neuwahlen aus. „Die SPD hat sich zu weit festgelegt“, sagte Westphal dem „Handelsblatt“. Er glaube, dass noch Bewegung möglich sei. „Die SPD muss klare Bedingungen formulieren und die Union Gelenkigkeit beweisen.“

Auch der saarländische SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Petry wirbt für Sondierungsgespräche. Seine Partei habe zur Wahl ein umfangreiches Programm vorgelegt mit einer Vielzahl von Maßnahmen, die sie in Regierungsverantwortung umsetzen möchte. „Insoweit wünsche ich mir, dass wir diese Punkte demokratischen Partnern anbieten und erst, wenn klare Absagen zu den für uns wichtigen Punkten vorliegen, den Weg von Neuwahlen beschreiten“, so Petry. Die stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden Eugen Roth und Rüdiger Schneidewind äußerten sich ähnlich: „Es ist eine demokratische Normalität, dass man offen für Gespräche ist“, sagte Roth. Schneidewind sagte: „Man muss jetzt ernsthaft überlegen, ob man bei der Blockadehaltung bleiben kann.“ Und der saarländische SPD-Umweltminister Reinhold Jost findet es „kindisch, wenn man unter zivilisierten Parteien nicht mehr miteinander redet“. Die Menschen im Land hätten „keine Lust auf einen erneuten Wahlgang“. Jost, Schneidewind und Roth drangen darauf, vor einer Entscheidung über eine mögliche Neuauflage der großen Koalition die Parteimitglieder zu befragen.

Geht also vielleicht doch noch eine große Koalition? Von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 hat Steinmeier als SPD-Außenminister mit der CDU-Kanzlerin eng zusammengearbeitet. Er weiß, wo Merkels Stärken und Schwächen liegen. Wie Merkel dürfte auch Steinmeier nicht mehr darauf hoffen, dass FDP-Chef Christian Lindner Jamaika doch noch möglich macht.

Und wie die Kanzlerin dürfte Steinmeier alles versuchen, SPD-Chef Schulz zum Einlenken zu bewegen, um die große Koalition vielleicht doch zu verlängern. Was er von der Entscheidung der SPD hält, für eine Koalition mit der Union nicht zu Verfügung zu stehen, kann man nur vermuten. Er selbst hat ja als Kanzlerkandidat 2009 aus einer großen Koalition heraus die SPD zu ihrem bis dahin schlechtesten Ergebnis geführt. 2017 kam es dann mit Schulz noch mieser.

Seit März ist Steinmeier im Amt. Die ersten Monate blieb er farblos, doch nun läuft es besser. Im Oktober die Rede zum Tag der Einheit, dann der vielbeachtete Kurztrip zu Präsident Wladimir Putin, jetzt die Regierungsbildung. Steinmeier dürfte viel daran liegen, hier etwas zu bewegen. Dabei geht es dem erfahrenen Außenolitiker auch um Deutschlands Bild in der Welt.

Die Phase der Unsicherheit soll möglichst kurz sein. Die Jamaika-Gespräche sind gerade 14 Stunden gescheitert, da tritt er vor die Mikrofone. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“ Unerwartet klare Worte. Von Neuwahlen ist nicht die Rede.

Eine starke Neigung zum Aktenstudium sagen ihm viele nach, er soll sich sogar die Papiere der Jamaika-Verhandlungen bestellt haben, um zu erfahren, woran es denn nun gelegen hat. Jedenfalls will Steinmeier eine umfassende Entscheidungsgrundlage auf dem Tisch haben. Neuwahlen wären vielleicht die einfachere Lösung, aber eine Minderheitsregierung will er nicht deshalb ausschließen, weil es sie noch nicht gegeben hat. Erst einmal redet er den Verantwortlichen noch einmal ins Gewissen.

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