Hass-Mails gegen Politiker „Sterben Sie endlich! - Anke, geh bügeln!“

Saarbrücken/Hamburg/Berlin · Die Hemmschwelle sinkt, die Wortwahl ist schamlos und entwürdigend: Gerade Politiker sind häufig Zielscheibe von Hass im Netz. Prominente Vertreter aus dem Saarland berichten von teils erschütternden Erfahrungen.

 Gerade Politiker sind häufig Zielscheibe von Hass im Netz. (Symbolbild)

Gerade Politiker sind häufig Zielscheibe von Hass im Netz. (Symbolbild)

Foto: picture alliance / dpa/Silas Stein

„Scheißfotze“, „Kriegstreiberhure“, „dümmliches Stück Fleisch“: Wie scharfe Munition durchsieben die Stimmen den Saal. An der Leinwand hinter den Schauspielern prangt der blanke Hass. Eine Inszenierung, die von scharfer Zuspitzung lebt. Könnte man meinen. Doch das, was die Besucher des Hamburger Theaterfestivals am Sonntagabend zu sehen und zu spüren bekommen, hat nichts mit Fiktion oder Übertreibung zu tun. Der Inhalt ist echt. Es handelt sich um Auszüge aus E-Mails an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Grünen-Spitzenpolitiker Cem Özdemir (Grüne) und Außenminister Heiko Maas (SPD). Die Idee zu diesem „Chor des Hasses“ hatte „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Auch im Saarland wäre er für ein solches Theaterprojekt fündig geworden.

Ulrich Commerçon (SPD): Der Bildungsminister sah sich vor allem im vergangenen Jahr mit einer regelrechten Flut von Hass konfrontiert. Verfasser von diversen E-Mails und Online-Kommentaren nannten ihn unter anderem eine „stinkende Ratte von einem Verräter am Deutschen Volk“, einen „verfluchten Vaterlandsverräter“ und einen „verkrüppelten Untermensch“. Ein anderer forderte: „Sterben Sie endlich!“ Auslöser waren, wie Sprecherin Marija Herceg gestern gegenüber der SZ klarstellte, Pläne des Ministeriums, Sprachen wie Italienisch, Türkisch und Arabisch an Schulen im Saarland als optionales Angebot einzuführen. Die Bild-Zeitung hatte das Vorhaben im August 2017 auf die Schlagzeile „Minister will Arabisch-Unterricht an unseren Schulen“ reduziert. AfD und ausländerfeindliche Foren griffen die Vorlage auf. Die Stimmungsmache mündete in zügellosem Hass, auf den der Minister unter anderem mit Strafanzeigen reagierte. Nun, etwas mehr als ein Jahr später, erklärt Commerçon gegenüber der SZ: „Die Verrohung in der Sprache hat in den vergangenen Jahren mehr und mehr zugenommen. Die Anonymität im Internet nutzen einige, um aggressive und hasserfüllte Botschaften unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu formulieren. (...) Wir müssen uns dagegen wehren.“ Gewehrt hat sich Commerçon vor allem gegen die Verfasser von Morddrohungen. „Einen Teil der Hass-Mails habe ich umgehend an die Polizei weitergeleitet.“ Die Verfahren seien noch nicht abgeschlossen.

Der saarländische Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD).

Der saarländische Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD).

Foto: epd/Oliver Dietze

Oliver Luksic (FDP): Eher ruhig scheint es dagegen beim Landeschef der Liberalen zuzugehen. Sein Wahlkreisbüro teilte mit, dass ihn bisher keine Hass-Mails erreicht hätten. „Nichts was über übliche Kritik hinausgeht. Weder persönliche Beleidigung noch Bedrohungen.“

Markus Uhl (CDU): Der saarländische CDU-Bundestagsabgeordnete schreibt, dass er nun als Volksvertreter in Berlin „in einem anderen Fokus“ stehe. „Bei Sachthemen, bei denen ich selbst im Bundestag spreche, beispielsweise zum Thema Diesel, erhalte ich im Anschluss an Plenarsitzungen viele persönliche E-Mails.“ Zuschriften „unter der Gürtellinie“ oder mit strafrechtlicher Relevanz seien allerdings die Ausnahme.

Charlotte Britz (SPD): Die ungezügelten Formen der Meinungsäußerung kennt auch die Saarbrücker Oberbürgermeisterin allzu gut. Erst kürzlich fluteten spöttische Mails ihr Post-Fach, als Anfang Oktober bekannt wurde, dass sie auf der Liste für den World Mayor Preis 2018 steht, die Auszeichnung für die beste Bürgermeisterin der Welt. „Was mich schockiert, ist die Respektlosigkeit. Die Wortwahl ist würdelos. Keiner informiert sich mehr. Alles wird über einen Kamm geschert“, sagt Britz und beklagt eine zunehmend undifferenzierte Art der Auseinandersetzung. Von Hass-Mails à la von der Leyen sei sie aber bislang „Gott sei Dank“ verschont geblieben. Einigen wütenden Mail- und Kommentarverfassern, die „nicht unter die Gürtellinie“ zielen, biete sie auch mal ein persönliches Gespräch an. Erst kürzlich sei sie angenehm überrascht gewesen, als ein Mann, der ihr zuvor eine Mail voller Vorurteile geschrieben hatte, vor ihr saß. „Dass Sie mir überhaupt antworten, hätte ich nicht gedacht“, habe er gesagt. Das Gespräch sei respektvoll verlaufen. Das Fazit der Oberbürgermeisterin: „Ich gebe nicht die Hoffnung auf, dass man mit Leuten sprechen kann.“

Christian Wirth (AfD): „Im Saarland ist es noch relativ gemütlich“, sagt der Neunkircher Politiker, der seit etwas mehr als einem Jahr für die AfD im Bundestag sitzt. Er meint damit die Stimmung, die Art des zwischenmenschlichen Umgangs. Er bekomme „natürlich auch“ HassMails, aber in noch viel stärkerem Maße seien seine Parteikolleginnen Beatrix von Storch und Alice Weidel betroffen. Die beiden seien „oft das Ziel solcher Angriffe. Von Mord über Vergewaltigung ist alles dabei. Und das regelmäßig“. Die Post, die in seinem E-Mail-Fach lande, sei dagegen „erträglich“. Es handele sich „um ein paar Mails pro Monat“. Die Kritik komme aus beiden politischen Lagern. „Linke und rechte Idioten schenken sich nichts.“ Noch schlimmer seien für ihn die Anfeindungen gegen seine Töchter. Sie würden in der Schule bedroht, weil ihr Vater bei der AfD ist. Mitglied einer Partei, die auch selbst häufig provoziert. Ist Gegenwind dann nicht die logische Folge? „Ja, wir befinden uns an der Grenzlinie. Aber andere Politiker provozieren auch.“ Das alleine rechtfertige keine Hasstiraden.

Anke Rehlinger (SPD): Die saarländische Verkehrsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin findet: „Man muss Hass auch widersprechen. Denn er zersetzt die Gemeinschaft.“ Das gelte sowohl für das Internet als auch für Hassparolen auf der Straße. Sie sei „Tag für Tag“ mit unangenehmen Kommentaren konfrontiert. Über Sprüche wie „Anke, geh bügeln!“ könne sie noch lachen. Es gebe aber auch „viel üblere Sprüche, mit denen ich mich schon eher schwer tue“. Die Ministerin schickt der SZ zwei unkorrigierte Beispiele: „Mache politiker müssten ach strafrechtlich verfolgt werden an der ausbeute und beschis den sie den bürgern hier im land antun! schämt euch ihr verlogenen politiker!“ – „Gehe in die CTS las deine Ohren machen. Du hast immer noch nicht den Schuss gehört.“ Rehlinger sieht ein sehr ernstzunehmendes Problem. „Ich glaube, dass der Hass der Trolle leider auch ein Symptom ist.“ Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken sei für sie deshalb „keine Floskel, sondern politisches Programm“.

 Die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD).

Die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD).

Foto: Iris Maria Maurer/Iris Maria Maurer;GMLR

Birgit Huonker (Linke): Die Linken-Politikerin bekommt nach eigenen Angaben seit 2015 hasserfüllte E-Mails – vor allem im Zusammenhang mit ihrem Engagement in der Flüchtlingshilfe. Die unerwünschte Post sei seitdem ihr ständiger Begleiter. Huonkers Umgang damit: „Ich lese sie höchstens an und lösche sie dann sofort.“ Einmal habe sie „den Fehler gemacht“ und einem Hass-Mail-Verfasser geantwortet, er solle doch bitte ihre E-Mail-Adresse löschen. „Dann ging das erst richtig los.“ Ihr Fazit: „Man muss diesen Menschen nicht die Aufmerksamkeit geben, die sie einfordern.“ Ein Erlebnis ist ihr jedoch nachhaltig in Erinnerung gebleiben: Als sie Anfang Oktober 2015 ihren Briefkasten leert, entdeckt sie eine Postkarte mit der Botschaft: „Auch dich werden wir noch kriegen.“ Und auch wenn es ihr bei dem Gedanken an diesen Tag eiskalt den Rücken herunterläuft, ist es ihr wichtig, festzustellen: „Politiker bekommen glücklicherweise nicht nur Droh-Briefe und Hass-Mails, sondern auch viel Anerkennung.“

Markus Tressel (Grüne): Ob in Saarbrücken oder in Berlin: Der saarländische Grünen-Bundestagsabgeordnete erhält nach eigenen Angaben täglich E-Mails mit abwertendem Inhalt. „Irgendwann stumpft man ab.“ Der Hass zeige sich „in allen Spielarten“, es gehe vielen gar nicht darum, inhaltlich zu diskutieren. „Sie vertreten ihren Standpunkt nur noch über Beleidigungen.“ Ein E-Mail-Schreiber habe ihn kürzlich als „Trittbrettlutscher“ bezeichnet und ihm vorgeworfen, seine Themen nur „abzukupfern“. „Ich habe ihm geantwortet, weil er seinen Klarnamen genannt hat. Darauf habe ich nie mehr etwas von ihm gehört.“ Früher habe man sich noch die Mühe geben müssen, einen Brief per Hand zu verfassen und abzusenden. Jetzt seien es nur ein paar Klicks bei Facebook. Dadurch habe der Hass „extrem zugenommen“, man müsse sich verstärkt „Gedanken um das Thema Sicherheit machen“.

Der saarländische AfD-Bundestagsabgeordnete Christian Wirth (AfD).

Der saarländische AfD-Bundestagsabgeordnete Christian Wirth (AfD).

Foto: dpa/Oliver Dietze
Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD).

Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD).

Foto: BeckerBredel
 Die saarländische Linken-Politikerin Birgit Huonker.

Die saarländische Linken-Politikerin Birgit Huonker.

Foto: Huonker
 Markus Tressel, saarländischer Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Markus Tressel, saarländischer Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Foto: Erik Marquardt

Tressel spricht von einem regelrechten „Beleidigungsbeschuss“. Man könne durch die schiere Masse nicht mehr alles strafrechtlich verfolgen. Dadurch hätten viele Nutzer den Eindruck, sie befänden sich in einem „rechtsfreien Raum“. Um der Hassflut zu entkommen, nahm er sich diesen Sommer vier Wochen Auszeit von sozialen Netzwerken. „Und wissen Sie was? Ich hab’s überhaupt nicht vermisst.“

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