Politisches Erdbeben bei der Bundestagswahl Wähler strafen große Koalition ab – SPD geht in Opposition – AfD stark

Berlin · Nach historisch schlechtem SPD-Ergebnis steuert Deutschland auf eine Jamaika-Koalition zu.

Historisches Fiasko der SPD, herbe Klatsche für die Union und ein Triumph der AfD: Trotz schwerer Verluste bei der Bundestagswahl kann Bundeskanzlerin Angela Merkel voraussichtlich vier weitere Jahre regieren. Aber nicht mehr mit dem Koalitionspartner SPD – Herausforderer Martin Schulz kündigte noch gestern Abend den Gang in die Opposition an. Großer Profiteur des Debakels für die große Koalition ist nach den Hochrechnungen die Rechtsaußen-Partei AfD. Mit ihr schafft erstmals seit den 50er Jahren eine rechtsnationale Partei den Sprung ins Parlament – und erobert gleich Platz drei.

Der FDP gelingt nach vier Jahren die Rückkehr in den Bundestag. Mit den ebenfalls vertretenen Grünen und Linken ergibt sich erstmals seit den 50er Jahren wieder ein Sechs-Fraktionen-Parlament. Denkbar wäre – außer der von der SPD ausgeschlossenen großen Koalition – ein aus dem Saarland bekanntes, bisher im Bund aber noch nie erprobtes Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen. Freidemokraten und Grüne zeigten sich prinzipiell gesprächsbereit, sahen aber große Hürden.

Nach den Hochrechnungen fällt die Union auf ihr schwächstes Ergebnis seit 1949, rund 33 Prozent (2013: 41,5). Die einstige Volkspartei SPD stürzt nach zwei schwachen Bundestagswahlen auf ein Rekordtief von 20 bis 21 Prozent (25,7). Die AfD, vor vier Jahren noch knapp gescheitert, legt mit knapp 13 Prozent auf das Dreifache zu (4,7). Die Grünen verbessern sich auf rund neun Prozent (8,4). Die Linken verharren leicht über ihrem alten Niveau bei rund neun Prozent (8,6). Die FDP überspringt mit zehn bis elf Prozent locker die Fünf-Prozent-Hürde (4,8). Die Wahlbeteiligung stieg mit über 75 Prozent um rund fünf Punkte.

Merkel steht damit vor ihrer vierten Amtszeit. Sie beanspruchte ungeachtet der schweren Verluste die Regierungsbildung für die Union und kündigte Gespräche an. „Wir haben einen Auftrag, Verantwortung zu übernehmen.“ Schulz sprach von einem bitteren Tag für die Sozialdemokratie: „Es ist völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist.“ Die Union appellierte an die SPD, sich Gesprächen nicht zu verweigern. „Wir werden auf alle Parteien zugehen und mit ihnen Gespräche führen“, sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU).

Auch die Bildung eines Dreier-Bündnisses mit FDP und Grünen dürfte wegen deren gegensätzlichen Zielen nicht einfach werden. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte, einen Automatismus für Jamaika gebe es nicht. Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt rechnete mit schwierigen Gesprächen.  Dass die Verhandlungen vor der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober konkret werden, gilt als unwahrscheinlich.

Schulz kündigte an, Parteivorsitzender bleiben zu wollen. Den Fraktionsvorsitz strebe er nicht an. Ob Thomas Oppermann dieses Amt behalten kann oder die bisherige Arbeitsministerin Andrea Nahles es beansprucht, blieb zunächst offen.

Den Einzug der AfD ins Parlament bezeichnete Kanzlerin Merkel als große neue Aufgabe, Schulz nannte ihn bedrückend: Vor allem in Ostdeutschland ist die AfD stark. Dort erreicht sie laut ARD 22 Prozent, im Westen 11,2.

AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland machte eine Kampfansage an die künftige Bundesregierung: „Sie kann sich warm anziehen. Wir werden sie jagen“, sagte er. „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

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