Familien in Restaurants Wenn Kinder am Tisch (k)ein Problem sind

Saarbrücken · Ein Gastwirt auf Rügen hat seinen kleinen Gästen Hausverbot erteilt. Ein Saarbrücker empfängt sie mit offenen Armen. Was sind seine Erfahrungen?

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Foto: SZ

Lothar Bayer denkt an Rügen. Der Gastronom sitzt am Dienstagnachmittag an einem der Tische vor seinem Lokal, dem „Kunstwerk Saarbrücken“ im Stadtteil St. Johann. Der 61-Jährige trägt ein T-Shirt, Jeans, feuerrote Sneaker. Bayer stammt aus der Pfalz. Der grundfeste Dialekt verleiht seinen Sätzen eine beneidenswerte Unaufgeregtheit. Rügen also.

Auf der Ferieninsel hat ein Restaurant­betreiber ein Hausverbot gegen eine wachsende Problemgruppe verhängt: Kinder. Nun möchte die SZ mit Bayer sprechen. Weil sein „Kunstwerk“ urplötzlich wie ein Gegenentwurf erscheint. Er bewirbt seinen Betrieb als „kinderfreundlich“, veranstaltet an Sonntagen einen Familienbrunch. Das steht auf einer Tafel neben dem Eingang. Daneben Blümchen aus Kreide. „Die Überschrift lautet: Kinder gehören dazu“, sagt Bayer.

Die Welt gehört in Kinderhände. Das sang Herbert Grönemeyer in den Achtzigerjahren. Als die Deutschen zwar Pippi Langstrumpf und den Michel aus Lönnenberga liebten, die unangepassten Helden von Astrid Lindgren. Aber ihre Kinder im Gasthaus noch brav am Tisch saßen. So die Überlieferung. Nun scheint die deutsche Gemütlichkeit dahin. Auf Rügen sollen Kinder wiederholt Restaurantbesucher tyrannisiert, die Decken von Nachbartischen gerissen haben, samt Rotweingläsern. Ab sofort müssen sie in den Abendstunden draußen bleiben. Was bundesweit für Aufregung sorgt.

In den sozialen Netzwerken wirkt es so, als ob sich der um Geflüchtete entbrannte Kulturkampf in „Omas Küche“ verlagert hätte. So heißt, welch Ironie, das Lokal, in dem Kinder ab sofort Hausverbot haben. Folgt auf die Flüchtlingsdebatte die Erziehungskrise?

Das Vokabular ähnelt sich. Wieder geht es um Grenzen, die nicht durchgesetzt werden, diesmal von Erziehungsberechtigten – und um einen linksgrünen Zeitgeist. Gastwirt Rudolf Markl, der auf Rügen sein Hausrecht gegen Familien in Anspruch nimmt, klagt über ignorante Eltern, „die ihren Namen tanzen können, aber ihre Kinder nicht mehr im Griff haben“. Er wird als Kinderhasser angefeindet, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat sich eingeschaltet. Andere feiern Markl für seine kinderbefreite Zone. Ist das alles nur eine Momentaufnahme der Befindlichkeitsrepublik Deutschland? Oder haben Eltern hierzulande tatsächlich verlernt, ihre Kinder zu erziehen?

Lothar Bayer stieg vor 17 Jahren in die Gastronomie ein. Seine Frau erwartete damals Zwillinge. Mittlerweile sind die Kinder groß. Das Vatersein prägt sein Geschäft bis heute. „Das ist eine simple Denke“, sagt er. „Keine Philosophie.“ Bayer setzt auf Pragmatismus. Sitzt neben einer Familie ein älteres Ehepaar, fragt er die Gäste, ob sie einen ruhigeren Tisch haben möchten. „Manchmal schämen sich Eltern für ihre Kinder, wenn sie sich normal wie Kinder benehmen“, sagt Bayer. „Das wollen wir nicht.“ Natürlich spricht der Gastronom auch Mütter und Väter an, wenn es mal zu laut wird. Seine Erfahrung: „Es ist ganz, ganz selten der Fall, dass Eltern sagen: Wir sind Gast, wir können tun und lassen, was wir wollen.“ Klingt nicht nach Rügener Verhältnissen.

„Ich plädiere für mehr Gelassenheit“, sagt Frank C. Hohrath, Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga im Saarland. Er bekomme teilweise schon zu hören, dass mit Kindern im Restaurant heute lockerer umgegangen werde, berichtet Hohrath. „Was per se nicht schlecht ist.“

 Lothar Bayer führt in Saarbrücken ein ausdrücklich „kinderfreundliches“ Lokal.

Lothar Bayer führt in Saarbrücken ein ausdrücklich „kinderfreundliches“ Lokal.

Foto: Tobias Fuchs

Wer in der Region nachfragt, hört keine Horrorgeschichten. „Natürlich gibt es mal Kinder, die schreien, nicht hören, was umschmeißen“, sagt Philipp Stephan, der am Bostalsee ein Ausflugslokal betreibt. „Aber meiner Meinung nach gehört das dazu.“ Der Saarbrücker Lothar Bayer begann im „Hochstuhl-Alter“, seinen Nachwuchs mitzunehmen in andere Restaurants. In seinen Augen eine gelungene Erziehung. Er sagt: „Die Kollegen, die meine Kinder als Gäste erben, können froh sein.“

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