Thementage Europa, Kultur und Migration „Migration ist keine Eintagsfliege“

Saarbrücken · Raphaël Pitti, der als Arzt in Syrien tätig ist, spricht auf einer Tagung zum Thema Europa und die Zuwanderung in Saarbrücken.

 Bis zum vergangenen Sommer stand das Zeltlager auf einem Parkplatz in der Straße Blida in Metz als Symbol für die gescheiterte Asylpolitik Frankreichs. Nun wurde es geschlossen.

Bis zum vergangenen Sommer stand das Zeltlager auf einem Parkplatz in der Straße Blida in Metz als Symbol für die gescheiterte Asylpolitik Frankreichs. Nun wurde es geschlossen.

Foto: Hélène Maillasson

Für seine humanitäre Arbeit in Syrien wurde der Metzer Militärarzt Raphaël Pitti vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Die Medaille gab er zurück, „weil ich von Frankreichs Flüchtlingspolitik enttäuscht bin“, sagt der 68-Jährige. Auch von dem neuen pro-europäischen Präsidenten Macron hatte er sich viel versprochen. In Lothringen war Pitti einer der Unterstützer der ersten Stunde. Jetzt spricht er von „Doppelmoral“ und davon, dass „Frankreich aus Angst vor den Populisten seiner Verantwortung gegenüber Migranten nicht gerecht wird“. Und Pitti weiß, wovon er spricht: 21 Mal war er seit 2012 bereits in Syrien, um ehrenamtlich zu arbeiten. Das letzte Mal vor sechs Monaten. Er kennt das Elend der Menschen dort, denen es an allem fehlt, vielerorts auch an medizinischer Versorgung.

2012 war Pitti auf dem Weg zur Arbeit, zum Krankenhaus im lothringischen Nancy, als er im Radio eine Reportage aus Syrien hörte. „Vom Libanon bis zum ehemaligen Jugoslawien habe ich als Militärarzt bereits in vielen Krisengebieten gearbeitet, doch zum ersten Mal hörte ich, dass man dort gezielt Krankenhäuser bombardiert und Mediziner tötet, weil sie ihre Arbeit machen“, erzählt er. Er nahm Kontakt zu einer französisch-syrischen NGO auf, beantragte zwei Wochen Urlaub und kaufte ein Flugticket Richtung Türkei. Von dort ging es zum ersten Mal nach Syrien. „Das Krankenhaus, in dem ich geholfen habe, wurde um vier Uhr bombardiert. Wir mussten nicht nur Patienten evakuieren und versorgen, sondern auch die Kollegen“, berichtet Pitti. Er wechselte dann in eine hastig illegal eingerichtete Notfallversorgung in einem Privathaus.

Nach einem Monat kehrte er zurück nach Lothringen. Doch immer wieder nimmt er sich Urlaub und fährt zum Helfen nach Syrien. Das neueste Projekt: Bildungszentren für Pfleger und Ärzte. Vor sechs Monaten eröffneten Pitti und seine Mitstreiter ein solches Zentrum im syrischen Kurdistan, im Osten des Landes. „Es ist sehr wichtig, das Personal mit den speziellen Techniken der Kriegsmedizin vertraut zu machen. Das gehört nicht zu der klassischen Ausbildung, wird dort aber täglich gebraucht“, sagt der Arzt.

Wenn er nicht in Syrien ist, kämpft Pitti auch in seiner Stadt Metz für eine bessere Aufnahme der Migranten. „Die Lösung kann nur europäisch sein“, ist er überzeugt. Darüber, wie diese Lösung aussehen könnte, diskutieren Pitti und weitere Gäste aus Wissenschaft, Politik und Flüchtlingshilfe ab morgen in Saarbrücken. Die zweitägige Veranstaltung zu den Themen „Europa, Kultur und Migration“ findet in der Villa Europa statt (siehe Infobox). Pitti wirbt dafür, langfristig zu planen, über den Konflikt in Syrien hinaus. „Migration ist keine Eintagsfliege. Menschen flüchten vor dem Krieg, aber auch vor Armut, vor dem demografischen Druck, vor dem Klimawandel.“

 Der Kriegsarzt Raphaël Pitti aus Metz nimmt an der Tagung in Saarbrücken teil.

Der Kriegsarzt Raphaël Pitti aus Metz nimmt an der Tagung in Saarbrücken teil.

Foto: STEPHANE PITTI

Es gebe noch viele dicke Bretter zu bohren, weiß Pitti. Doch immer wieder gebe es auch Lichtblicke. Dazu zählt zum Beispiel das Ende des sogenannten „Dschungels“ von Metz. In diesem Zeltlager lebten Hunderte Menschen meist aus den Balkanländern unter desolaten Bedingungen (wir berichteten). „Dieses Jahr wurde das Zeltlager nach der Winterpause nicht wieder eröffnet“, freut sich Pitti, der auch im Metzer Stadtrat sitzt. Bis über ihren Asylantrag entschieden werde, seien die Migranten zurzeit in Unterkünften untergebracht. Das sei schon ein erster Schritt.

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