Interview Alice Hoffmann „Es ging auch um Sex“

Mainz · Am Donnerstag spielt „es Hilde“ Karl Marx’ Geliebte im SR-Fernsehen. Was sie sonst über die Linken, die „MeToo“-Debatte und den Saar-„Tatort“ denkt.

Interview Alice Hoffmann: „Es ging auch um Sex“
Foto: privat/privat/Hoffmann

Vor vier Jahren sagte Alice Hoffmann dem Saarland Adieu. Am Donnerstag ist sie wieder da – zumindest auf dem Bildschirm. Im Dokudrama „Lenchen Demuth“ (Donnerstag im SR) spielt die 66-Jährige passend zum Karl-Marx-Jahr das Dienstmädchen und die Geliebte des Philosophen. Was Lenchen mit „Hilde Becker“ gemeinsam hat, verriet die Schauspielerin beim Gespräch in ihrer Wohnung in Mainz.

Wenn Du hättest wählen können, hättest Du lieber Lenchen Demuth oder Rosa Luxemburg gespielt?

HOFFMANN Schwere Frage. Beide sind Herausforderungen, aber Lenchen Demuth war einfacher, weil sie mehr dem entspricht, was ich ja schon all’ die Jahre gespielt habe. Sie ist natürlich nicht „Hilde Becker“, aber sie spricht auch Dialekt, ist eine einfache Frau, die habe ich richtig drauf. Rosa Luxemburg könnte ich auch spielen, aber da müsste ich mehr dran arbeiten.

Aber identifizieren kannst Du Dich auch mit ihr, vom politischen, linken Standpunkt her?

HOFFMANN Ja, das hat sich ja rumgesprochen…

Bist Du eigentlich bei den Linken?

HOFFMANN Nein. Ich war Mitglied bei der Organisation, aus der die heutige MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) hervorging, von ’72 bis ’76. Ich bin aber ausgetreten, als ich durchschaut habe, wie das Ganze funktioniert, Parteien, Vereine, Kirche, Staat. Überall, wo Menschen sich zusammentun, läuft ein bestimmtes Schema ab, wodurch mir bewusst wurde, das kommt für mich nicht in Frage.

Aber das Herz schlägt immer noch links?

HOFFMANN Links und rechts sind für mich blöde Begriffe. Man kann auch sagen, mein Herz schlägt für das Urchristentum. Kommunismus und Urchristentum sind für mich in etwa dasselbe. Es bedeutet, dass jeder für jeden da ist, man einander achtet, man versucht, die Kluft zwischen Arm und Reich möglichst klein zu halten. Es ist soziales Denken, das mich prägt, nicht der Begriff „Links“ oder ein Parteienprofil.

Dennoch bist Du mehrfach für die Linkspartei aufgetreten.

HOFFMANN Ja, weil es im Moment für mich die einzige Partei ist, die überhaupt für soziale Gerechtigkeit eintritt. Kurz vor der Wahl tun das natürlich alle. Aber die Linken sind die einzigen, die sich explizit gegen Krieg einsetzen, gegen die Beteiligung deutscher Soldaten in Weiß-der-Geier-wo.

Welche Rolle spielt dabei Deine Freundschaft zu Oskar Lafontaine?

HOFFMANN Das spielt eine Rolle. Früher konnte ich ihn allerdings nicht leiden, in den 70ern, an der Uni in Saarbrücken. Gerhard Bungert, mit dem ich damals zusammen war, hat immer gesagt, ‚der ist so ehrgeizig, der wird mal Bundeskanzler’. Oskar war damals übrigens viel mit Ottmar Schreiner unterwegs. Ach, der war ja wie für mich gebacken, wir waren jung, es ging auch um Sex. Aber er war leider in der falschen Partei. Einmal hat Oskar jedenfalls an einem Abend auf zwei Veranstaltungen erst gegen und dann für die Nato gesprochen. Er streitet es heute ab, aber da war er für mich unten durch. Anfang der 2000er kam er dann zu einer Premiere von mir im „Blauen Hirsch“, und ich merkte, das Gesicht ist verändert. Der Ehrgeiz, dieses Macht-Ding, war raus. Ich habe ihn darauf angesprochen und er hat mir so glaubhaft erzählt, wie sich sein Leben und seine Haltung verändert haben, durch das Attentat und durch die Politik Gerhard Schröders, von Kosovo-Krieg bis Hartz-IV-Gesetze. Er hatte sein Leben an den wirklichen Werten vorbei gelebt, sagte er. Dadurch ist er für mich wieder glaubwürdig geworden.

Würdest Du auch noch für die Linke auftreten, wenn Lafontaine nicht mehr dabei ist?

HOFFMANN Das kommt auf die Politik an, die die machen.

Wie sind die Reaktionen auf solches politisches Engagement, hat Dir das Nachteile gebracht?

HOFFMANN Ja, es gab etwa beim Saarländischen Rundfunk ein Verbot, mich zu beschäftigen. Das war nach einem Wahlkampf-Auftritt in Saarbrücken. Es hieß zwar, das galt nur während des Wahlkampfs, aber mir war klar, dass ich da nichts mehr zu erwarten habe. Das war letztlich auch der Grund, warum ich 2014 aus dem Saarland weggezogen bin. Erfahren habe ich von dem Verbot übrigens durch einen Redakteur des SWR.

Aber beim SWR, für den Du heute aktiv bist, nimmt man Dir Dein Engagement nicht krumm?

HOFFMANN Nee, denen ist das wurscht. Beim SWR läuft es super. Als ich im Quiz „Meister des Alltags“ angefangen habe, dachte ich erst, das war‘s jetzt mit Rollen. Aber dann hat das eine Beliebtheit bekommen, und seitdem sind auch meine Kabarett-Termine wieder voll.

Aber es ist Dir ein Herzensanliegen, die politische Positionierung?

HOFFMANN Ja, aber es geht mir nicht nur darum, Parolen zu schwingen. Als ich anfing in der kommunistischen Organisation, dachte ich noch, ich müsse die ganze Welt glück­lich machen. Dazu brauchte man natürlich eine Partei. Später habe ich verstanden, dass das Unsinn ist. Ich kann nur in meinem Umfeld was verändern. Und das tue ich, mache viel für die Menschen in meiner Umgebung. Ich habe zum Beispiel in den 80ern ein Roma-Mädchen bei mir aufgenommen, die abgeschoben werden sollte. Sie blieb dann bei mir.

Als Kämpferin bist Du ganz anders als die schlichte „Hilde Becker“. Hast Du die Rolle gerne gespielt?

HOFFMANN Ja, sehr. Ich sehe da nicht nur eine doofe Frau, ich sehe das gesamte Ding. Und das war für mich eine hervorragende Satire auf diese typische Familienstruktur, die es überall gibt, wo Mama zu Hause bleibt und im wahrsten Sinne des Wortes „beschränkt“ ist, aber in diesem kleinen Reich die Machthaberin ist.

Gerd Dudenhöffer haderte mit den Vorwürfen, seine Figur sei zu stark imitatorisch und zu wenig satirisch überzeichnet.

HOFFMANN In der Serie fand ich das nicht. Da war „Heinz“ mal sympathisch und mal doof. Man konnte lachen. Aber in seinem Bühnenprogramm hat er die Figur verändert. Ekel Alfred hat ich wohl inspiriert, oder er dachte irgendwie, er muss mehr rechts werden. Ich habe selbst erlebt, dass dann Rechte im Publikum sitzen, die sich bestätigt fühlen, wenn er sagt, da in Afrika haben die Neger doch Auslauf. Ich habe das Gerd gesagt und er war überrascht. Einmal ist er dann an den Bühnenrand gegangen und hat wütend gesagt: ‚Ihr wisst überhaupt nicht, worüber ihr da lacht’. Aber da haben die noch mehr gelacht.

Braucht auch das Kabarett da klare Grenzen?

HOFFMANN Ich möchte keine Zweifel daran lassen, dass es Satire ist, was ich mache. Spätestens am Schluss, wenn ich auf der Bühne meinen berühmten Striptease mache und zu Alice werde, verstehen die, das war nur gespielt. Ich finde diese Demaskierung sehr wichtig.

Ist das auch für Dich wichtig, um aus der Rolle rauszufinden?

HOFFMANN Ich verschmelze nie so ganz mit meiner Rolle, dass ich erst wieder rausfinden muss. Weil ich immer nebenher auch andere Dinge getan habe. Mein Leben war nie nur auf Theater gerichtet. Ich habe Familie, das Engagement, politisch oder im Privaten. Die letzten Jahre war ich zum Beispiel viel in der Sterbebegleitung von Dementen aktiv. Und seit dem Tod einer Freundin 1991 halte ich auch Trauerreden bei Beerdigungen, wenn die Leute keine kirchliche Beerdigung wollen. Ich habe selbst einen großen Erfahrungsschatz mit Sterben, Tod und Trauer, weil so viele Angehörige, mein Lebensgefährte und viele Bekannte gestorben sind, die ich begleitet habe.

Du hast sehr viel Erfahrung auf der Bühne und auch mit Fernsehproduktionen. Wie siehst Du die „MeToo“-Debatte?

HOFFMANN Im Theater finde ich das schwierig. Da muss man sich anfassen und mal küssen, und dann soll man sagen „MeeToo“? Es ist eben ein Milieu, in dem man sehr körperlich miteinander ist. Ich habe oft auch beobachtet, dass Frauen kokettieren und sich an den Regisseur ranmachen, wenn sie eine Rolle haben wollen. Andererseits ist da das männliche Verhalten, das über die Jahre gewachsen ist, das Frauen zum Objekt macht. Da wird es höchste Zeit, dass Männer verstehen, dass es so nicht geht. Aber trotzdem ist das schwierig, wie weit darf man denn dann beim Flirten noch gehen?

Aber es ist doch ein Unterschied, ob man auf der Bühne körperlich sein muss, oder ob der Regisseur das jenseits der Bühne verlangt.

HOFFMANN Ich hatte mal einen Intendanten, der wollte, dass ich eine Nacktszene spiele, ich war noch ganz jung. Aber das wollte ich nicht, und in dem Stück („Wildwechsel“ von Kroetz) gab es auch keinen Grund dafür. Und dann wurde der Regisseur zudringlich, und dann habe ich ihm auf die Finger gehauen. Ich habe mich gewehrt. Ich galt dann als schwierig, bekam später einige Rollen nicht. Aber man kann sich wehren, und man muss das selbst tun. Das müssen Frauen lernen. Ich finde es immer wieder eine Schwäche von Frauen, sich hinter Organisationen oder Kampagnen zu verstecken.

Jetzt bist Du schon seit einiger Zeit aus dem Saarland weg. Wie schaust du heute auf das Saarland?

HOFFMANN Ich habe gerne dort gelebt, mit der Nähe zu Frankreich und den Möglichkeiten, die Freizeit zu genießen. Beruflich war es immer sehr schwer. Das hängt damit zusammen, dass die Leute dort insgesamt weniger Selbstbewusstsein haben, etwas Neues zu versuchen. Das fand ich schon immer schade.

Auch die Sekretärin im Saar-„Tatort“ war für Dich eine wichtige Rolle. Wie siehst Du den heute?

HOFFMANN Ich habe gerne mitgespielt und ihn auch gerne geguckt. Aber in den letzten Jahren hatte ich so viel Tod und Sterben bei mir im Umfeld, da vergeht einem die Lust, Tod auch im Fernsehen zu sehen. Aber eigentlich mochte ich ihn gerne, und habe mich immer geärgert, wenn es unlogisch wurde. Oder als ich den Versuch gesehen habe, Comedy mit dem wunderbaren Devid Striesow zu machen. Das war einfach schlecht geschrieben. Aber es wurde besser im Laufe der Zeit. Und das vorherige Duo, Gregor Weber und Maximilian Brückner, fand ich als Mischung Saarländer gegen Bayer super. Aber das wurde ja schnell wieder plattgemacht.

 Alice Hoffmann ohne Maske: Die Schauspielerin und Kabarettistin hat sich immer auch politisch und sozial engagiert.

Alice Hoffmann ohne Maske: Die Schauspielerin und Kabarettistin hat sich immer auch politisch und sozial engagiert.

Foto: privat/privat/Hoffmann
 Hoffmann Ende der 80er im Solo-Stück „Die Marzipanfrau“, das Peter Loibl für sie schrieb.

Hoffmann Ende der 80er im Solo-Stück „Die Marzipanfrau“, das Peter Loibl für sie schrieb.

Foto: schmidt
 Ihre bekannteste Rolle: Alice Hoffmann als „Hilde“ mit Gerd Dudenhöffer in „Familie Heinz Becker“.

Ihre bekannteste Rolle: Alice Hoffmann als „Hilde“ mit Gerd Dudenhöffer in „Familie Heinz Becker“.

Foto: SWR/WDR/Hajo Hohl/Hajo Hohl

Jetzt wird ein neuer Saar-Kommissar gesucht. Wen würdest Du vorschlagen?

HOFFMANN Gregor Weber hat so tolle Krimis geschrieben. Ich träume immer noch davon, dass die als Saar-„Tatorte“ verfilmt werden – mit ihm als Kommissar. Oder eine Art Miss Marple fürs Saarland, mit so einer Alten à la „Hilde“, von der dann alle denken, die ist doof, und ihr dann brav alles erzählen. Und damit löst sie dann den Fall.

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