Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte „Ein barbarisches Arbeitsregime“

Völklingen · Tausende Zwangsarbeiter schufteten während des Zweiten Weltkriegs in der Völklinger Hütte. Eine Historiker-Tagung befasste sich nun mit diesem dunklen Kapitel des Stahlwerks.

 Etliche Zwangsarbeiter der Röchling-Werke – hier ein Bild von serbischen und sowjetischen Arbeitern aus den Jahren 1941/42 – kamen wegen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen um.

Etliche Zwangsarbeiter der Röchling-Werke – hier ein Bild von serbischen und sowjetischen Arbeitern aus den Jahren 1941/42 – kamen wegen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen um.

Foto: Saarstahl AG

13,5 Millionen Zwangsarbeiter gab es im Deutschen Reich – die besetzten Gebiete eingerechnet, kommt man auf rund 20 Millionen. Sie stammten aus insgesamt 20 Nationen; das Gros stellten russische Kriegsgefangene und Menschen aus der Sowjetunion. Bis Anfang der 70-er Jahre fristete die Forschung zur Zwangsarbeit in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft eher ein Nischendasein. Erst die 1985 von Ulrich Herbert veröffentlichte Studie „Fremdarbeiter. Politik und Praxis des ‚Ausländer-Einsatzes‘ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches“ schuf ein öffentliches Bewusstsein, in dessen Folge einige Unternehmen begannen, sich ihrer Verantwortung zu stellen.

Auch in der Völklinger Hütte und ihren Nebenbetrieben waren im Zweiten Weltkrieg 12 000 Menschen verschiedener Nationen im Einsatz, die meisten von ihnen Zwangsarbeiter. Es handelte sich um französische, italienische und russische Kriegsgefangene oder aus der damaligen Sowjetunion verschleppte russische und ukrainische Zivilpersonen. Mehr als 250 dieser ausländischen Arbeitskräfte starben, aufgrund diskriminierender und unmenschlicher Arbeitsbedingungen.

Am Dienstag widmete das Weltkulturerbe Völklinger Hütte dem Thema eine Ringvorlesung in Kooperation mit der Universität des Saarlandes, der Universität Trier, der European Route of Industrial Heritage (ERIH) sowie dem Saarländischen Museumsverband. Die Vorträge rückten die Situation in der Völklinger Hütte in den deutschen und europäischen Kontext und präsentierten aktuelle Forschungsergebnisse.

Zum Erziehungslager Etzenhofen etwa referierte Christian Reuther, Leiter des Stadtarchivs Neunkirchen und ehemaliger Leiter des Stadtarchivs Völklingen: Mit diesem Lager machten die Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke im Frühjahr 1943 von der Option Gebrauch, betriebseigene Lager zur Disziplinierung von Arbeitern einzurichten.

Die Frage der medizinischen Versorgung der Zwangsarbeiter der Völklinger Hütte beleuchtete die Historikerin Inge Plettenberg: Im Zuge der lokalen Studien, die in den 80er-Jahren auf Herberts Publikation folgten, leistete sie neben Hans-Henning Krämer saarländische Pionierarbeit. Auch die Präsentation zur Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte, die in der Sinteranlage in den Besucherweg des Weltkulturerbes Völklinger Hütte integriert ist, beruht auf den Forschungen Plettenbergs – hierzu erscheint nun auch eine eigene Publikation.

Während Marcel Brüntrup von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Mark Spoerer von der Universität Regensburg den Umgang mit „unerwünschten“ Kindern osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen beziehungsweise die Lebensbedingungen von Zwangsarbeitern allgemein erläuterten, sprach Fabian Lemmes von der Ruhr-Universität Bochum über Zwangsarbeit in Saarbrücken.

Die Hinführung zum Thema übernahm Hans-Christian Herrmann, Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken. Er gab einen Überblick über die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Formen der Zwangsarbeit in Hitler-Deutschland und den besetzten Gebieten und verglich in diesem Zusammenhang die Rolle Hermann Röchlings mit anderen Unternehmerpersönlichkeiten des Dritten Reiches. Eingangs verwies Herrmann auf die Notwendigkeit zur Differenzierung des nicht erst im Zweiten Weltkrieg akuten „Millionenphänomens“ Zwangsarbeit: Im NS-System und auch in den kollaborierenden Ländern seien rassistische Kriterien maßgeblich gewesen für das Ausmaß an Zwang, Gewalt und Willkür; so seien Anforderungen von Zwangsarbeitern gezielt für ethnische Säuberungen instrumentalisiert worden. Wirtschaftskonzerne wie Flick oder Thyssen wussten von ihren weiten Handlungsspielräumen gegen Zwangsarbeiter zu profitieren.

Ausführlich skizzierte Herrmann, wie auch Hermann Röchling, im Juni 1942 von Hitler zum Vorsitzenden der Reichsvereinigung Eisen (RVE) bestellt, seine Machtposition an der Spitze dieses Zwangskartells für seine ehrgeizigen Produktionsziele nutzte und sowohl bei der Rekrutierung wie der Behandlung von Arbeitskräften einem menschenverachtenden Sozialdarwinismus huldigte.

In fehlender Disziplin sah der Stahlbaron die Ursache nicht erreichter Produktionsziele und forderte eine konsequente Ahndung, „notfalls bis zum Konzentrationslager“. Einen Fremdarbeiter-Krankenstand von sechs Prozent unter den lothringischen Hüttenarbeitern hielt Röchling für „nicht tragbar“ – wohl wissend, dass der miserable Gesundheitszustand durch (gezielte) Mangelernährung, menschenunwürdige Unterbringung und unzureichende Kleidung noch befördert wurde. Ein „barbarisches Arbeitsregime“, so Herrmann.

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