Das bayrische Jahrhundert an der Blies Als die Blies bayrisch war
Homburg/St. Ingbert · Ein neuer Band widmet sich dem „bayrischen Jahrhundert des Saarpfalz-Kreises“.
Über Jahrhunderte zeichnete der Krieg die deutsche Landkarte immer wieder neu. Auch die Geschichte des heutigen Saarpfalz-Kreises nimmt so ihren Ausgang. Nachdem Napoleon 1815 geschlagen war, fielen die ehemals französischen Gebiete links des Rheins an Bayern und Preußen. Zwar mussten die Bayern Salzburg und auch das Innviertel an die Österreicher hergeben, bekamen dafür aber den Süden des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz und jene kleine Region um St. Ingbert, Blieskastel und Homburg. „Seelenhandel“, schimpften die Zeitgenossen über dieses Schachern mit Land und Untertanen. Schon deshalb war es wohl keine Liebe auf den ersten Blick zwischen den Neu- und den Altbayern, selbst wenn heute manche Biergartenfans die Welt am liebsten bloß weiß-blau sähen.
Auf den 30. April 1816 datiert jedenfalls das „Besitzergreifungspatent“ von König Max I. für das „Königlich bairische Gebiet auf dem linken Rheinufer“. Tag eins des bayrischen Jahrhunderts an der Blies gewissermaßen. 1919/1920, nach der Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und dem Versailler Vertrag ist das weiß-blaue Säkulum dann passé.
Gefeiert wurden die Jubiläen bereits gebührend. Was aber nachhaltiger wirkt: Man spürte auch der Geschichte der noch wenig beschriebenen Bayern-Zeit nach, 2017 mit einer Tagung im Karlsberger Hof. Nun hat der Conte Verlag noch ein Buch daraus gemacht, das zum Glück mehr ist als die Sammlung des guten Dutzends Fachvorträge. Die freilich sind durch die Bank lesenswert, beleuchten die Politik wie die Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, dazu sind Glaubens- wie Rechtsfragen und die medizinische Entwicklung Thema.
Dass man sich im Saarpfalz-Kreis stolz auf Philipp Jakob Siebenpfeiffer, seinen ersten „Landcommissär“, besinnt, vor allem aber auf seinen Kampf für die Meinungs- und Pressefreiheit, versteht sich von selbst. Ein Gang durch diese Kinderstube der deutschen Demokratie, dem Vormärz in der Saarpfalz, ist damit Pflichtübung. Aber man nimmt auch die nackte Not vieler Menschen in den Blick, die ihre Heimat verlassen mussten, nach Amerika auswanderten, bevor Bergbau und Industrialisierung Arbeit und Brot brachten.
Neben diesen historischen Sichtachsen lädt das Buch zudem zu einer „architektonischen Reise“ durch die Region ein: Jutta Schwan und Martin Baus sind die Führer zum steinernen bayrischen Erbe. Das sich überraschend vielfältig präsentiert. Nicht nur Kirchen, Justizbauten wie das einstige Königlich-bayrische Amtsgericht in St. Ingbert, wo nach wie vor der bayrische Löwe über der Eingangstür brüllt, und einstige Verwaltungssitze wie das Homburger Rentamt (heute residiert hier die Polizei) gehören dazu, nein, auch Bahnanlagen, Brauerei-Bauten und die „Pfälzische Heil- und Pflegeanstalt“ in Homburg – schon in feinstem Jugendstil. Einziges Manko dabei: Praktische Informationen zum genauen Standort und zu Besichtigungszeiten (sofern möglich) muss sich der Leser sonst wo suchen.
Bayern an der Blies – 100 Jahre bayerische Saarpfalz: herausgegeben von Martin Baus, Bernhard Becker und Jutta Schwan, Conte, 336 Seiten, 24,90 Euro.